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Zwei Nächte.
rechts und links am Wege waren angeschwollen und bis an
die Ränder gefüllt mit einer braunen lehmigten Brühe. Die
Halme der Reisfelder erschienen umgeweht und vor Wind und
Kälte zu zittern.
Die Offiziere lachten, als sie sich gegenseitig anblickten
und nun bemerkten, wie der Ritt der vergangenen Nacht ihre
Uniform zugerichtet. Die Pferde waren bis an den Sattel
mit Koth bespritzt, die weißen Mäntel hatten eine breite
braune Bordüre und Stiefel, Sporen, Säbel waren mit dickem
Straßenschmutze bedeckt.
In der Nähe des Orts erreichten sie eine neue Colonne,
alle Straßen waren mit Militär bedeckt, das Haupt-Quartier
befand sich in einem großen Gebäude im Städtchen selbst und
dahin lenkten die beiden Reiter ihre Pferde, stiegen ab und
traten in das Hans. Es dauerte ungefähr eine Stunde, bis
der Ordonnanz-Offizier abgefertigt war und sein Pferd wieder
besteigen konnte, worauf er augenblicklich davon ritt, um dem
Posthaus draußen einen Besuch zu machen.
Der Regen hatte aufgehört, ganze Reihen Infanterie
standen in den Straßen und die Einwohner brachten den er-
müdeten und durchnäßten Soldaten an Speise und Trank,
was sie besaßen. Wurden doch die österreichischen Soldaten
auf dem Wege nach Mailand fast allenthalben als „unsere
Befreier" begrüßt, eine Aeußerung, die freilich eben so sehr
der Sehnsucht nach dem Aufhören der Kriegsdrangsale, als
der Anhänglichkeit an das Kaiserhaus beizumessen war.
Jetzt lag das Postgebäude vor den Blicken des jungen
Offiziers, hier der Stall, dort das Wohnhaus. Vor crsterem
befanden sich ein Trupp Chevauxlegers, welche beschäftigt
waren, ihre Pferde in die warmen Räume zu ziehen. Ein-
zelne Postillone halfen ihnen dabei und einer hielt dem
Husaren-Offizier sein Pferd, worauf er abstieg, und nach der
Familie des Posthalters fragte.
Der Postillon blickte sich schüchtern nach dem Hause um
und zuckte die Achseln. „Da ist das Haus," sagte er, „die
Thür steht offen. Geht hinein, Herr, ich weiß nicht, ob Ihr
Jemand findet. Doch ist Platz genug da, um Euren nassen
Mantel aufzuhängen. Ich will nur das Pferd besorgen, dann
komme ich nach und mache Ihnen ein Feuer."
„Ist denn Niemand in dem Hause? Niemand von der
Familie des Posthalters?" fragte der Offizier dringend und
dieselbe Antwort war: „Ich weiß nicht, Herr, geht nur hinein."
Kopfschüttelnd ging der Offizier dem Hause zu. Da lag
auf der Schwelle der große zottige Hund, dessen er sich wohl
noch erinnerte; das Thier sah ihn an und wedelte mit dem
Schweife, als er über die Schwelle durch die geöffnete Haus-
thüre trat. Dann folgte er ihm langsam. Der Offizier schritt
durch den Hausgang und es zog ihn zu dem Zimmer am Ende
des Gebäudes hin, vor dessen Fenster er damals in der Nacht
gestanden. Er öffnete die Thür und trat hinein. Das Fenster
nach der kleinen Anhöhe stand offen, und wie damals wiegte
sich das Rebenlaub vor demselben, doch nicht vom milden Glanz
des Mondes bestrahlt, sondern von dem grauen Licht eines
nebeligten Morgens und von den feuchten Blättern rieselten
schwere Regentropfen herab. In dem Zimmer befanden sich
zwei Kinder, eines von ungefähr sechs Jahren, welches be-
schäftigt war, verglimmende Kohlen auf dem Herde anzublasen.
Das andere von vielleicht zwei Jahren saß daneben auf dem
Boden in einem dünnen Kleidchen und hatte die kleinen Hände
unter dasselbe gesteckt, um sie zu erwärmen. Das größere Kind
war ein Knabe, das kleinere schien ein Mädchen zu sein — ihr
Mädchen. Es waren ganz ihre Züge, ganz ihre großen glän-
zenden Augen. „Teresina," sagte der junge Offizier, und das
Kind am Boden drehte den Kopf herum und sah ihn lächelnd an.
Die Sachen, die im Zimmer umher standen, sahen nicht
ärmlich aus, doch lag Alles in großer Unordnung durchein-
ander. Es durchschauerte den jungen Offizier, er wußte selbst
nicht weßhalb. Der Knabe, es mußte der Cecco sein, den das
Mädchen damals auf dem Schooße hatte, versicherte ihn keck
und ohne Furcht, das Feuer werde im Augenblick brennen.
Schon wollte sich Graf S. zurückziehen, um den alten Postil-
lon, der ihm das Pferd abgenommen, um Auskunft zu bitten,
als dieser mit einem Arm voll Reisig hereintrat.
„Ist denn Niemand im Hause?" fragte Graf S., „wie
diese Kinder — wo ist denn der Posthalter? Und—"
Der Postillon warf das Holz auf den Kamin, zuckte aber-
mals mit den Achseln und fragte: „Waren Sie schon früher
in dem Hause?"
„Vor ungefähr vier Jahren."
„Ja so."
„Damals sah ich -— ich war nur einen Augenblick hier,
während des Umspannens in der Nacht — damals sah ich
zufällig ein sehr schönes Mädchen hier."
„Die Teresina!" sagte ernst der Postillon, „dort am
Boden sitzt ihr Kind."
„Und sie?"
„Nun sie — ist glücklicher Weise vor einem Jahr gestorben.
Er hat's ihr gar zu schlecht gemacht."
„Wer? — Ihr Vater?"
„O nein, der starb schon früher, — ihr Mann, unser
jetziger Herr." Bei diesen Worten schauerte er zusammen.
„So, so! der Posthalters-Sohn aus Piazenza?" forschte
der Offizier mit gepreßter Stimme weiter.
„Sie haben ihn gekannt, Herr?"
„Das nicht, aber von ihm gehört," entgegnete der Graf.
„Das glaub' ich," sagte der alte Postillon finster, „der
hat sein Schicksal verdient. Ein so braves Weib, ein so
gutes und schönes Weib, der Vater hat sie gezwungen, ihn
zu heirathen, den aus Piazenza, er war immer ein böser
Kerl, und doch hat sie an ihm gehangen, treu und ehrlich,
aber ihm geschieht sein Recht, es ist hart für die armen
Kinder; aber ihm geschieht sein Recht."
„Aber was geschieht ihm denn, oder was ist ihm ge-
schehen?" fragte der Offizier und stützte sich auf das Kamin-
gesims, denn ihm ahnte etwas Schreckliches.
„Nun, er hat es so lang getrieben, bis sie ihn endlich ge-
kriegt," entgegnete der Postillon mit leiser Stimme, „so eben
haben sie ihn als überwiesenen Spion eingebracht. Sie müssen
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Zwei Nächte.
rechts und links am Wege waren angeschwollen und bis an
die Ränder gefüllt mit einer braunen lehmigten Brühe. Die
Halme der Reisfelder erschienen umgeweht und vor Wind und
Kälte zu zittern.
Die Offiziere lachten, als sie sich gegenseitig anblickten
und nun bemerkten, wie der Ritt der vergangenen Nacht ihre
Uniform zugerichtet. Die Pferde waren bis an den Sattel
mit Koth bespritzt, die weißen Mäntel hatten eine breite
braune Bordüre und Stiefel, Sporen, Säbel waren mit dickem
Straßenschmutze bedeckt.
In der Nähe des Orts erreichten sie eine neue Colonne,
alle Straßen waren mit Militär bedeckt, das Haupt-Quartier
befand sich in einem großen Gebäude im Städtchen selbst und
dahin lenkten die beiden Reiter ihre Pferde, stiegen ab und
traten in das Hans. Es dauerte ungefähr eine Stunde, bis
der Ordonnanz-Offizier abgefertigt war und sein Pferd wieder
besteigen konnte, worauf er augenblicklich davon ritt, um dem
Posthaus draußen einen Besuch zu machen.
Der Regen hatte aufgehört, ganze Reihen Infanterie
standen in den Straßen und die Einwohner brachten den er-
müdeten und durchnäßten Soldaten an Speise und Trank,
was sie besaßen. Wurden doch die österreichischen Soldaten
auf dem Wege nach Mailand fast allenthalben als „unsere
Befreier" begrüßt, eine Aeußerung, die freilich eben so sehr
der Sehnsucht nach dem Aufhören der Kriegsdrangsale, als
der Anhänglichkeit an das Kaiserhaus beizumessen war.
Jetzt lag das Postgebäude vor den Blicken des jungen
Offiziers, hier der Stall, dort das Wohnhaus. Vor crsterem
befanden sich ein Trupp Chevauxlegers, welche beschäftigt
waren, ihre Pferde in die warmen Räume zu ziehen. Ein-
zelne Postillone halfen ihnen dabei und einer hielt dem
Husaren-Offizier sein Pferd, worauf er abstieg, und nach der
Familie des Posthalters fragte.
Der Postillon blickte sich schüchtern nach dem Hause um
und zuckte die Achseln. „Da ist das Haus," sagte er, „die
Thür steht offen. Geht hinein, Herr, ich weiß nicht, ob Ihr
Jemand findet. Doch ist Platz genug da, um Euren nassen
Mantel aufzuhängen. Ich will nur das Pferd besorgen, dann
komme ich nach und mache Ihnen ein Feuer."
„Ist denn Niemand in dem Hause? Niemand von der
Familie des Posthalters?" fragte der Offizier dringend und
dieselbe Antwort war: „Ich weiß nicht, Herr, geht nur hinein."
Kopfschüttelnd ging der Offizier dem Hause zu. Da lag
auf der Schwelle der große zottige Hund, dessen er sich wohl
noch erinnerte; das Thier sah ihn an und wedelte mit dem
Schweife, als er über die Schwelle durch die geöffnete Haus-
thüre trat. Dann folgte er ihm langsam. Der Offizier schritt
durch den Hausgang und es zog ihn zu dem Zimmer am Ende
des Gebäudes hin, vor dessen Fenster er damals in der Nacht
gestanden. Er öffnete die Thür und trat hinein. Das Fenster
nach der kleinen Anhöhe stand offen, und wie damals wiegte
sich das Rebenlaub vor demselben, doch nicht vom milden Glanz
des Mondes bestrahlt, sondern von dem grauen Licht eines
nebeligten Morgens und von den feuchten Blättern rieselten
schwere Regentropfen herab. In dem Zimmer befanden sich
zwei Kinder, eines von ungefähr sechs Jahren, welches be-
schäftigt war, verglimmende Kohlen auf dem Herde anzublasen.
Das andere von vielleicht zwei Jahren saß daneben auf dem
Boden in einem dünnen Kleidchen und hatte die kleinen Hände
unter dasselbe gesteckt, um sie zu erwärmen. Das größere Kind
war ein Knabe, das kleinere schien ein Mädchen zu sein — ihr
Mädchen. Es waren ganz ihre Züge, ganz ihre großen glän-
zenden Augen. „Teresina," sagte der junge Offizier, und das
Kind am Boden drehte den Kopf herum und sah ihn lächelnd an.
Die Sachen, die im Zimmer umher standen, sahen nicht
ärmlich aus, doch lag Alles in großer Unordnung durchein-
ander. Es durchschauerte den jungen Offizier, er wußte selbst
nicht weßhalb. Der Knabe, es mußte der Cecco sein, den das
Mädchen damals auf dem Schooße hatte, versicherte ihn keck
und ohne Furcht, das Feuer werde im Augenblick brennen.
Schon wollte sich Graf S. zurückziehen, um den alten Postil-
lon, der ihm das Pferd abgenommen, um Auskunft zu bitten,
als dieser mit einem Arm voll Reisig hereintrat.
„Ist denn Niemand im Hause?" fragte Graf S., „wie
diese Kinder — wo ist denn der Posthalter? Und—"
Der Postillon warf das Holz auf den Kamin, zuckte aber-
mals mit den Achseln und fragte: „Waren Sie schon früher
in dem Hause?"
„Vor ungefähr vier Jahren."
„Ja so."
„Damals sah ich -— ich war nur einen Augenblick hier,
während des Umspannens in der Nacht — damals sah ich
zufällig ein sehr schönes Mädchen hier."
„Die Teresina!" sagte ernst der Postillon, „dort am
Boden sitzt ihr Kind."
„Und sie?"
„Nun sie — ist glücklicher Weise vor einem Jahr gestorben.
Er hat's ihr gar zu schlecht gemacht."
„Wer? — Ihr Vater?"
„O nein, der starb schon früher, — ihr Mann, unser
jetziger Herr." Bei diesen Worten schauerte er zusammen.
„So, so! der Posthalters-Sohn aus Piazenza?" forschte
der Offizier mit gepreßter Stimme weiter.
„Sie haben ihn gekannt, Herr?"
„Das nicht, aber von ihm gehört," entgegnete der Graf.
„Das glaub' ich," sagte der alte Postillon finster, „der
hat sein Schicksal verdient. Ein so braves Weib, ein so
gutes und schönes Weib, der Vater hat sie gezwungen, ihn
zu heirathen, den aus Piazenza, er war immer ein böser
Kerl, und doch hat sie an ihm gehangen, treu und ehrlich,
aber ihm geschieht sein Recht, es ist hart für die armen
Kinder; aber ihm geschieht sein Recht."
„Aber was geschieht ihm denn, oder was ist ihm ge-
schehen?" fragte der Offizier und stützte sich auf das Kamin-
gesims, denn ihm ahnte etwas Schreckliches.
„Nun, er hat es so lang getrieben, bis sie ihn endlich ge-
kriegt," entgegnete der Postillon mit leiser Stimme, „so eben
haben sie ihn als überwiesenen Spion eingebracht. Sie müssen
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