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Adolar, der UT ä v t y r e r.


schuldigen Brudergeschöpfe erkauft wird. Er genoß weder Eier
noch tierische Milch noch auch Tierbutter, sondern lebte von nun
an fröhlich nach unserer vegetarischen Meise.

Jedoch er war zu noch Böhercm berufen. Tines Tages sab
er zu, wie für ihn Salat und Rosenkohl, den er sehr gern

aß, geschnitten wurde.
Mie er das grausame
lllcsscr im Lebensmark
dieser schönen Pflanzen
kreischen hörte, da
ward seine zur höchsten
Liebe veranlagte Seele
aufs tiefste erschüttert.
And er fragte sich:
„Baben diese schönen
Geschöpfe nicht auch
Leben? Sind sic nicht
auch meine Brüder und
Schwestern? Mollen
sic sich nicht auch auslebon, Blüten und Früchte bringen? Nein,
ich habe kein Recht, sie meinem Genuß hinzuopfern!" - Und
er beschloß, von nun an sich nur von Früchten zu nähren, die
ja diese Pflanzenmescn uns gewissermaßen freiwillig hingeben.
Er aß also nur noch Apfel, Birnen, Trauben und ähnliches
Bbst; seine Mittel erlaubten ihm das.

Jedoch sein zartes Gemüt zog ihn noch höher empor. Als
er einst auf feinem Balkon Kirschen verzehrte und die Kerne
teils mit verschluckte,
teils sie auf die in
Sommerglut liegende
Straße hinunterspie,
wo sie elendiglich ver-
dorren mußten, ent
setzte sich seine emp
stndsamc Seele darü-
ber, daß so viel hoff-
nungsvolles Leben
zugrunde gehen sollte.

„Sind dies nicht die Tier der Pflanzen?" fragte er sich. „Babe
ich das Recht, so viel Leben int Keime zu vernichten?"

Tin großer Tntschlnß stieg in seiner erhabenen Seele auf.
„Ich will die Menschheit zu den höchsten Böhen erheben, eine
neue Lebensweise will ich sic lehren, und sollt' ich dabei als
Märtyrer fallen, so will ich cs gern erleiden."

Tr hatte gelesen, daß manche Indiancrstämme in Süd-
amerika fette Trde essen, die sie mit Bl beträufeln. „Ja, ich
will fette Trde essen," rief Adolar in heiliger Begeisterung aus,
„um der Menschheit zu zeigen, daß man auch leben kann, ohne
Pflanzen und pflanzenkeimc zu vernichten! Ich weiß zwar, daß
die Indianer 'davon einen dicken Bauch bekommen aber, dürfte
ich so eitel sein, die schlanke Schönheit meines Leibes höher zu
schätzen als jenes Ideal?"

Tr schrieb an seinen Freund, den Konsul iu 8anta Fe de
Bogota (Ehrenmitglied des vegetarischen Klubs „Leres"), uud
dieser sandte ihm eine große, vier Zentner schwere Kiste voll echt
südamerikanischer Tßerde. „Ich kaufte sie," schrieb er ihm dabei,
„von einer armen Indianerin, welche in ihrem Garten die vor-

züglichste Trde besitzt, die nach ihrer Versicherung von den hiesigen
Indianern gern genossen wird. Ich habe versucht, sie zu essen,
aber es ging nicht, Möge sie Ihnen zum Segen unserer heiligen
Sache gut bekommen I"

Adolar ließ die Kiste öffnen und
sandte seinen Diener hinaus. Rach-
dem er untersucht, ob nicht unschuldige
Mürmer oder Pflanzenkeime darin ent-
halte» seien, machte er sich mit muti-
gem Bcrzen daran, eine Löffelspitze
der würzig duftenden Trde zu ge-
nießen. Ts gelang nicht; erst mit
Bilfe einiger Tropfen Bl bekam er

sie hinunter.

So schwer es anging er gewöhnte sich doch daran. Trde
und raffiniertes Petroleum waren nun seine einzige Nahrung;
denn Pflanzenöl, welches aus der unbarmherzigen Zerquetschung

von edlen Pflanzenkeimen gewonnen
wird, genoß er schon lange nicht
mehr. Tr bekam allerdings im
Laufe einiger Monate einen dicken
Bauch — aber im seligen Bewußt-
sein seiner Mission trug er auch
diese Last.

Tr würde noch lange so gelebt
haben, aber seine ideale Veran-
lagung trieb ihn bis in den Bpfer-
tod. Tines Tages nämlich fügte
der Konsul der allvierteljährlich
gesandten Lrdkistc ein Begleitschrci-
ben bei des Inhalts, daß die In-
dianerwitwe Sakwa die Humuserde ihres kleinen Gartens nicht
mehr verkaufen könne; denn sie brauche diese für ihre Garten-
pflanzen, die auf andrer Trde verkümmerten. „Sic haben bereits
Morgen aufgegessen," hieß es in dem Schreiben, „und die
Mutter will audj gegen gute Bezahlung nicht mehr weiter
liefern. Ich will mich sofort nach einem andern Lrdlicferanten
umsehen."

Adolar war tief erschüttert. „Babe ich ein Recht," fragte er
sich, „Trde aufzuessen, auf welcher die herrlichsten Pflanzen
sprießen, Blüten und Früchte bringen könnten? - Kein!" And
er tat den heiligen Schwur, von nun an nur Trde zu essen, auf
welcher keine Pflanzen wachsen können, d. h. Sand und Lette.

Tr schrieb an den Konsul, er
solle sich keine weitere Mühe geben,
fette Fruchterde für ihn aufzustöbern.

Gleichzeitig machte er sein Testament;
denn er ahnte wohl, daß unfruchtbare
Trde und Sand ihn nicht lange am
Leben erhalten würden. And so ge-
schah cs; nach drei Machen hatte der
edle Märtyrer seinen letzten Löffel Sand
gegessen.

Mir, die wir nicht fähig sind, ihn zu verstehen uud seinen
Beroismus »achzuahme», stehen weinend an seiner Bahre.
Lhre seinem Andenken!
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Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Adolar, der Märtyrer"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Meissl, August von
Entstehungsdatum
um 1906
Entstehungsdatum (normiert)
1901 - 1911
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
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Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 124.1906, Nr. 3160, S. 82

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Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
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