290
Der Giftbrunnen.
grabend an. Eine kleine Quelle bot den Durstigen Labsal und
auf einer freundlichen Wiese wuchsen mehrere Palmen, die ihnen
Nahrung spendeten. Die Kinder sprangen vergnügt mit dem Esel
und den Ziegen herum, die sich schon erfreulich herausgefüttert
hatten. Abu jedoch sah verdrossen d’rein und Suleika empfing den
Greis mürrisch, wie wenn er sie betrogen hätte. „Schon einen
grossen Teil haben wir umgegraben,“ schalt sie, „und noch nichts
gefunden I Was blieb uns anderes übrig, um die Mühe nicht ganz
umsonst aufzuwenden, als dass wir wenigstens etwas Getreide
säten und ein wenig Gemüse pflanzten! Dabei werden wir aber
ewig Bettler sein, wie wir es waren!“
Der Derwisch nickte und ging seines Wegs. So oft er in-
dessen auch wiederkam, sie hatten nichts entdeckt, obwohl sie
emsig weitergruben. Dafür wuchs und reifte es auf der Oase wie
in einem Garten. Schon konnten sie sich mannigfache Speisen be-
reiten. Des Abends jedoch, wenn er müde war, pflanzte Abu
Blumen und Suleika, die an sich eine gute Hausfrau war, zeigte
ihm hinter der Hütte, die sie sich gebaut, mit einem gewissen
Behagen ihre Vorräte.
„Nun, und der Reichtum?“ sagte eines Tags der Derwisch
zu ihr.
Da lachte sie zum erstenmal vergnügt. „Der Reichtum wird
kommen!“ antwortete sie und setzte etwas verlegen bei: „Was
waren doch meine Nachbarinnen für Närrinnen! Ist es hier nicht
schöner, als wenn wir Gold und Juwelen und Geschmeide hätten
und lebten in der engen Gasse unter Staub und Zank? Wenn der
Schatz kommt, ist er recht — wenn er nicht kommt, so bleiben
wir hier, wo die Kinder gesund sind und gedeihen und der Esel
auch und die Ziegen!“
Abu indessen reichte dem Derwisch die Hand und drückte sie.
Der sass noch eine Weile stumm bei ihnen und schaute dem Tanz
der Mücken zu, die sich in der Abendsonne schwangen wie damals.
Dann schüttelte er das Haupt und ging. „Es tut mir leid,“ sagte
er, „wenn ich mich getäuscht haben sollte! Man hat es mir als
ganz sicher erzählt, dass hier die Truhen mit dem Gold vergraben
seien. Sucht nur weiter, gewiss werdet Ihr sie noch finden!“
Aber der Kesselflicker und sein Weib hörten eines Tages ganz
zu graben auf. Denn die „Insel des Todes“ war durch ihre Tätig-
keit in ein kleines freundliches Landgut verwandelt worden.
— Da — als sie der Derwisch einst wieder besuchte — traf
er Abu nicht an. „Wo ist Dein Gatte?“ fragte er Suleika, die
vergnügt im Kreise ihrer Kinder sass. „Er ist dort jenseits des
Wäldchens!“ entgegnete sie. „Vor ein paar Tagen entdeckte er
zufällig am Rande der Oase einen alten verfallenen Brunnen, aus
dessen modrigem Grund giftige Dünste aufsteigen — nun ver-
schüttet er ihn, damit keines der Kinder hinunterstürzt oder sich
an dem Pestodem eine Krankheit holt! Geh’ nicht hin zu ihm —
er hat es uns allen streng verboten, bis er damit fertig ist!“
„Ich fürchte mich nicht!“ sagte der Derwisch lachend und
ging. Als ihn aber Abu von weitem kommen sah, lief er dem
Greis entgegen, schaute sich vorsichtig um und sagte dann mit
halblauter Stimme: „Herr, ich habe einen grossen Schrecken er-
lebt . . .“
„Dein Weib hat mir es schon erzählt!“ antwortete der Der-
wisch. „Der giftige Brunnen! Hast Du ihn schon zugeschüttet ?“
„Ich hoffe,“ flüsterte der Kesselflicker, „das Ungeheuer so
tief verscharrt zu haben, dass es nie mehr einer hier entdeckt —
weder mein Weib noch meine Kinder!“
Er sah schaudernd nach dem Platz hin, wo sich ein hoher
Sandhügel, seiner Hände Arbeit, emportürmte. „Das Märchen von
dem giftigen Brunnen habe ich erfunden,“ sagte er dazu leise,
„um mich und die Meinen vor schwerem Leid zu bewahren und
uns unser jetziges Glück zu erhalten, das wir Dir verdanken. Ich
bin dort nämlich vor acht Tagen beim Graben auf drei grosse
Kisten gestossen, die bis oben mit Gold gefüllt waren. Allah
sei Dank, niemand sah sie, und jetzt bedeckt sie — hoffentlich
für ewige Zeiten — dieser Hügel. . . .“ Wilhelm Herbert.
A« s einer Annonce.
. . . Insbesondere empfehle ich meine^ Zer-
velatwurst, die zu Spazierfahrten sich eignet,
geneigter Beachtung.
Tobias Wurstler, Fleischermeister.
Poesie und Prosa. —
„Freund, jetzt sind wir in Ätherregionen, hoch über allein
Irdischen! . . Was sagst Du dazu?" — „No, das war a*
Viecharbeit!"
Der Giftbrunnen.
grabend an. Eine kleine Quelle bot den Durstigen Labsal und
auf einer freundlichen Wiese wuchsen mehrere Palmen, die ihnen
Nahrung spendeten. Die Kinder sprangen vergnügt mit dem Esel
und den Ziegen herum, die sich schon erfreulich herausgefüttert
hatten. Abu jedoch sah verdrossen d’rein und Suleika empfing den
Greis mürrisch, wie wenn er sie betrogen hätte. „Schon einen
grossen Teil haben wir umgegraben,“ schalt sie, „und noch nichts
gefunden I Was blieb uns anderes übrig, um die Mühe nicht ganz
umsonst aufzuwenden, als dass wir wenigstens etwas Getreide
säten und ein wenig Gemüse pflanzten! Dabei werden wir aber
ewig Bettler sein, wie wir es waren!“
Der Derwisch nickte und ging seines Wegs. So oft er in-
dessen auch wiederkam, sie hatten nichts entdeckt, obwohl sie
emsig weitergruben. Dafür wuchs und reifte es auf der Oase wie
in einem Garten. Schon konnten sie sich mannigfache Speisen be-
reiten. Des Abends jedoch, wenn er müde war, pflanzte Abu
Blumen und Suleika, die an sich eine gute Hausfrau war, zeigte
ihm hinter der Hütte, die sie sich gebaut, mit einem gewissen
Behagen ihre Vorräte.
„Nun, und der Reichtum?“ sagte eines Tags der Derwisch
zu ihr.
Da lachte sie zum erstenmal vergnügt. „Der Reichtum wird
kommen!“ antwortete sie und setzte etwas verlegen bei: „Was
waren doch meine Nachbarinnen für Närrinnen! Ist es hier nicht
schöner, als wenn wir Gold und Juwelen und Geschmeide hätten
und lebten in der engen Gasse unter Staub und Zank? Wenn der
Schatz kommt, ist er recht — wenn er nicht kommt, so bleiben
wir hier, wo die Kinder gesund sind und gedeihen und der Esel
auch und die Ziegen!“
Abu indessen reichte dem Derwisch die Hand und drückte sie.
Der sass noch eine Weile stumm bei ihnen und schaute dem Tanz
der Mücken zu, die sich in der Abendsonne schwangen wie damals.
Dann schüttelte er das Haupt und ging. „Es tut mir leid,“ sagte
er, „wenn ich mich getäuscht haben sollte! Man hat es mir als
ganz sicher erzählt, dass hier die Truhen mit dem Gold vergraben
seien. Sucht nur weiter, gewiss werdet Ihr sie noch finden!“
Aber der Kesselflicker und sein Weib hörten eines Tages ganz
zu graben auf. Denn die „Insel des Todes“ war durch ihre Tätig-
keit in ein kleines freundliches Landgut verwandelt worden.
— Da — als sie der Derwisch einst wieder besuchte — traf
er Abu nicht an. „Wo ist Dein Gatte?“ fragte er Suleika, die
vergnügt im Kreise ihrer Kinder sass. „Er ist dort jenseits des
Wäldchens!“ entgegnete sie. „Vor ein paar Tagen entdeckte er
zufällig am Rande der Oase einen alten verfallenen Brunnen, aus
dessen modrigem Grund giftige Dünste aufsteigen — nun ver-
schüttet er ihn, damit keines der Kinder hinunterstürzt oder sich
an dem Pestodem eine Krankheit holt! Geh’ nicht hin zu ihm —
er hat es uns allen streng verboten, bis er damit fertig ist!“
„Ich fürchte mich nicht!“ sagte der Derwisch lachend und
ging. Als ihn aber Abu von weitem kommen sah, lief er dem
Greis entgegen, schaute sich vorsichtig um und sagte dann mit
halblauter Stimme: „Herr, ich habe einen grossen Schrecken er-
lebt . . .“
„Dein Weib hat mir es schon erzählt!“ antwortete der Der-
wisch. „Der giftige Brunnen! Hast Du ihn schon zugeschüttet ?“
„Ich hoffe,“ flüsterte der Kesselflicker, „das Ungeheuer so
tief verscharrt zu haben, dass es nie mehr einer hier entdeckt —
weder mein Weib noch meine Kinder!“
Er sah schaudernd nach dem Platz hin, wo sich ein hoher
Sandhügel, seiner Hände Arbeit, emportürmte. „Das Märchen von
dem giftigen Brunnen habe ich erfunden,“ sagte er dazu leise,
„um mich und die Meinen vor schwerem Leid zu bewahren und
uns unser jetziges Glück zu erhalten, das wir Dir verdanken. Ich
bin dort nämlich vor acht Tagen beim Graben auf drei grosse
Kisten gestossen, die bis oben mit Gold gefüllt waren. Allah
sei Dank, niemand sah sie, und jetzt bedeckt sie — hoffentlich
für ewige Zeiten — dieser Hügel. . . .“ Wilhelm Herbert.
A« s einer Annonce.
. . . Insbesondere empfehle ich meine^ Zer-
velatwurst, die zu Spazierfahrten sich eignet,
geneigter Beachtung.
Tobias Wurstler, Fleischermeister.
Poesie und Prosa. —
„Freund, jetzt sind wir in Ätherregionen, hoch über allein
Irdischen! . . Was sagst Du dazu?" — „No, das war a*
Viecharbeit!"
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Poesie und Prosa"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1912
Entstehungsdatum (normiert)
1907 - 1917
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 136.1912, Nr. 3490, S. 290
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg