296
Unser Bau in.
teilen, daß das nicht gctit!" — ,,©bo!" rief der Bau-Herr, dein
gerade dieser Mieter von jeher ans die Nerven ging. „Mas
geht nicht?! Ich möchte wissen, wer mir verbieten könnte,
mit meinem Eigentum zu tun und zu lassen, was ich will?!
Und jetzt justament kommt er weg, der dumme Baum!" —
„Das werden wir erst sehen!" schrie der Mieter in seiner hohen
Stimme geradeso laut. „Das werden wir ja sehen, ob darüber
Sie ganz allein zu bestnden haben oder ob da nicht auch noch
andere Stellte ein Mort mitredenl Ich verbiete Ihnen ein-
sach, daß Sie den Baum entfernen — verstanden ?!" — „Gho!"
rief der Bausherr wieder. „Das ist zum Lachen! Sie sind mir
ganz wurscht mit Ihrer gesamten Einbildung l — Menn Ihnen
gar so um den Baum zu tun ist" — setzte er dann, um den
andern, der als geizig bekannt war, zu verhöhnen, bei — „wissen
Sie was, wenn Ihnen gar so um den Baum zu tun ist, kaufen
Sie ihn mir doch ab. Ich gebe ihn billig — fünszig Mark
kostet er!" — Da schmetterte der andere mit einer Drohung die
Tür zu und mar draußen.
Noch hatte sich der Bausherr nicht richtig von seinem Arger
erholt und noch hatte sich im ersten Stock der Mieter in seiner
Mohnung nicht ganz au-geschimpft, da klingelte der Flickschneider
von der Dachmansarde bescheiden an der Tür und wurde auf sein
dringendes Derlangen von der Köchin vorgelassen, nachdem sie ihn
erst dringend gewarnt hatte, jetzt doch lieber nicht hineinzugehen.
„Denn wissen Sie" — sagte sie heimlich — „der Berr raucht heut'
keinen guten!"
„Das macht nichts!" meinte der Schneider sanft und drängte
sie mit einer Energie beiseite, die sonst niemand an ihm kannte.
„lhansherr!" sagte er d'rinnen freundlich. „Ich Hab' gehört,
daß „unser Baum" — daß der Kastanienbanin im kjof um
fünfzig Mark zu verkaufen ist — d a wäre n die fünfzig
Mark •— bitte, geben Sie mir den Baum!"
Und er zählte mit zitternden Bänden aus einem alten Lein
wandsäckchen die fünfzig Mark in allerhand kleinen Münzsorten
auf den Tisch.
Erst hatte der kjau-herr ihn beim Kragen nehmen und vor
die Tür setzen wollen. Dann besah er sich den Kunden genauer
und etwas in der ganzen Art des blassen entschlossenen Männleins
hinderte ihn daran. Auch siel ihm ein, wie es den protzigen Mieter
vom ersten Stock wurmen und giften müßte, wenn es ihm der
arme Teufel vom Dach zuvorgetan hätte.
„Gut!" sagte er. „Der Baum gehört Ihnen!"
Linen Augenblick war es gerade, als ob ihm der Schneider
um den Bals hätte fallen wollen. Dann aber lief er glückstrahlend
hinunter zu „seinem" Baum und sah mit verzückten Augen und
gefalteten lhänden in die Krone hinauf, die mit den wunderbarsten
Blütenkerzen bestellt war, als hätte sich der Baum, um seinem
neuen Ejerrit zu gefalle», in sein bestes Galakleid geworfen. And
die Spatzen, die sonst ein lärmendes Geschrei in den Ästen halten
schienen auf einmal so schön und feierlich zu singen, als wollten,,
sie einen Lob-, Dank- und Preishymnus anstimmen. Still und
stumm stand der arme Schneider. Die Tränen kamen ihm vor
Glück und Freude in die Augen. Mar es denn möglich, daß ihm,
der sein ganzes Leben lang sich so sehr nach einem eigenen
Fleckchen Erde mit ein wenig Grün gesehnt hatte, nun wirklich
und wahrhaftig der Segen zuteil werden sollte, ein solches Münder
der Natur, eine solche Pracht, einen solche» unerschöpflichen Frenden-
quell sein eigen zu nennen und ganz und gar z» besitzen, so daß
er die Kinder darunter spielen lassen, daß er sich an ihrer Freude
seine eigene immer wieder frisch wie eine Festkerze anzünden
konnte — daß er an jeder Blüte, an jedem Blatt und an jeder
Frucht täglich ein neues Glück erleben durfte ....
„Aber, Michael" — sagte die sanfte pausfran, die das Ge-
spräch mit angehört hatte — „könntest Du wirklich so hart sein,
dem armen Schneider seine ganzen mühsam errackerten Pfennige
für den Baum abzunehmen?!" — Da schaute er brummend ans.
„Unsinn!" knurrte er dann unwirsch. „Ich Hab' sie ihm ja
bloß gegen ein großes Geld umwechseln wollen — damit spart
man doch leichter! Da! Bring' ihm das!"
And nahm einen Hunderter ans dem Geldschrank und warf
ihn auf den Tisch.
Sie wollte freudig mit au-geftreckter dankender Hand auf ihn
zutreten — da war er auch schon draußen auf der Altane und
schaute in den Hof hinunter zu der blühende» Kastanie und dem
glücklichen Schneider. And da zum erstenmal sah auch er die
ganze lachende Pracht und schmunzelte selber auch seelenvergnügt —
ja, wirklich, cs war doch ein schöner, ein froher, ein herrlicher
Baum ....
Unser Bau in.
teilen, daß das nicht gctit!" — ,,©bo!" rief der Bau-Herr, dein
gerade dieser Mieter von jeher ans die Nerven ging. „Mas
geht nicht?! Ich möchte wissen, wer mir verbieten könnte,
mit meinem Eigentum zu tun und zu lassen, was ich will?!
Und jetzt justament kommt er weg, der dumme Baum!" —
„Das werden wir erst sehen!" schrie der Mieter in seiner hohen
Stimme geradeso laut. „Das werden wir ja sehen, ob darüber
Sie ganz allein zu bestnden haben oder ob da nicht auch noch
andere Stellte ein Mort mitredenl Ich verbiete Ihnen ein-
sach, daß Sie den Baum entfernen — verstanden ?!" — „Gho!"
rief der Bausherr wieder. „Das ist zum Lachen! Sie sind mir
ganz wurscht mit Ihrer gesamten Einbildung l — Menn Ihnen
gar so um den Baum zu tun ist" — setzte er dann, um den
andern, der als geizig bekannt war, zu verhöhnen, bei — „wissen
Sie was, wenn Ihnen gar so um den Baum zu tun ist, kaufen
Sie ihn mir doch ab. Ich gebe ihn billig — fünszig Mark
kostet er!" — Da schmetterte der andere mit einer Drohung die
Tür zu und mar draußen.
Noch hatte sich der Bausherr nicht richtig von seinem Arger
erholt und noch hatte sich im ersten Stock der Mieter in seiner
Mohnung nicht ganz au-geschimpft, da klingelte der Flickschneider
von der Dachmansarde bescheiden an der Tür und wurde auf sein
dringendes Derlangen von der Köchin vorgelassen, nachdem sie ihn
erst dringend gewarnt hatte, jetzt doch lieber nicht hineinzugehen.
„Denn wissen Sie" — sagte sie heimlich — „der Berr raucht heut'
keinen guten!"
„Das macht nichts!" meinte der Schneider sanft und drängte
sie mit einer Energie beiseite, die sonst niemand an ihm kannte.
„lhansherr!" sagte er d'rinnen freundlich. „Ich Hab' gehört,
daß „unser Baum" — daß der Kastanienbanin im kjof um
fünfzig Mark zu verkaufen ist — d a wäre n die fünfzig
Mark •— bitte, geben Sie mir den Baum!"
Und er zählte mit zitternden Bänden aus einem alten Lein
wandsäckchen die fünfzig Mark in allerhand kleinen Münzsorten
auf den Tisch.
Erst hatte der kjau-herr ihn beim Kragen nehmen und vor
die Tür setzen wollen. Dann besah er sich den Kunden genauer
und etwas in der ganzen Art des blassen entschlossenen Männleins
hinderte ihn daran. Auch siel ihm ein, wie es den protzigen Mieter
vom ersten Stock wurmen und giften müßte, wenn es ihm der
arme Teufel vom Dach zuvorgetan hätte.
„Gut!" sagte er. „Der Baum gehört Ihnen!"
Linen Augenblick war es gerade, als ob ihm der Schneider
um den Bals hätte fallen wollen. Dann aber lief er glückstrahlend
hinunter zu „seinem" Baum und sah mit verzückten Augen und
gefalteten lhänden in die Krone hinauf, die mit den wunderbarsten
Blütenkerzen bestellt war, als hätte sich der Baum, um seinem
neuen Ejerrit zu gefalle», in sein bestes Galakleid geworfen. And
die Spatzen, die sonst ein lärmendes Geschrei in den Ästen halten
schienen auf einmal so schön und feierlich zu singen, als wollten,,
sie einen Lob-, Dank- und Preishymnus anstimmen. Still und
stumm stand der arme Schneider. Die Tränen kamen ihm vor
Glück und Freude in die Augen. Mar es denn möglich, daß ihm,
der sein ganzes Leben lang sich so sehr nach einem eigenen
Fleckchen Erde mit ein wenig Grün gesehnt hatte, nun wirklich
und wahrhaftig der Segen zuteil werden sollte, ein solches Münder
der Natur, eine solche Pracht, einen solche» unerschöpflichen Frenden-
quell sein eigen zu nennen und ganz und gar z» besitzen, so daß
er die Kinder darunter spielen lassen, daß er sich an ihrer Freude
seine eigene immer wieder frisch wie eine Festkerze anzünden
konnte — daß er an jeder Blüte, an jedem Blatt und an jeder
Frucht täglich ein neues Glück erleben durfte ....
„Aber, Michael" — sagte die sanfte pausfran, die das Ge-
spräch mit angehört hatte — „könntest Du wirklich so hart sein,
dem armen Schneider seine ganzen mühsam errackerten Pfennige
für den Baum abzunehmen?!" — Da schaute er brummend ans.
„Unsinn!" knurrte er dann unwirsch. „Ich Hab' sie ihm ja
bloß gegen ein großes Geld umwechseln wollen — damit spart
man doch leichter! Da! Bring' ihm das!"
And nahm einen Hunderter ans dem Geldschrank und warf
ihn auf den Tisch.
Sie wollte freudig mit au-geftreckter dankender Hand auf ihn
zutreten — da war er auch schon draußen auf der Altane und
schaute in den Hof hinunter zu der blühende» Kastanie und dem
glücklichen Schneider. And da zum erstenmal sah auch er die
ganze lachende Pracht und schmunzelte selber auch seelenvergnügt —
ja, wirklich, cs war doch ein schöner, ein froher, ein herrlicher
Baum ....
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Unser Baum"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Objektbeschreibung
Verschlagwortung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1916
Entstehungsdatum (normiert)
1911 - 1921
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 144.1916, Nr. 3799, S. 296
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg