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Aquavit und Aqua fortis.
„Lieber Demetrius/' begann sie ernst aber freundlich, ihm
näher tretend, während er mit stieren Blicken bald auf den In-
halt des Körbchens, bald auf seine Frau blickte, „Du bist gegen-
wärtig hier unten nichts nütze, gehe daher in das obere Gemach,
nimm diese Lebensmittel mit und verhalte Dich dort ganz ruhig,
ich werde unfern Leuten sagen. Du seiest unwohl geworden;
wenn aber sich irgend etwas ereignen sollte, wobei Deine Gegen-
wart hier unten nöthig würde, dann werde ich es Dir wissen
lassen, und sollten wir uns ohne Zeugen nicht sprechen können,
so merke Dir, daß ich auf alle Fragen wegen dieser Verwechse-
lung der Flaschen fest dabei stehen geblieben bin, daß Du den
Russen einen gewöhnlichen Branntwein verabreicht hast und Scheide-
wasser hier im Laden nie aufbewahrt wird/'
„Das wird uns Alles nichts helfen," seufzte Demetrius,
nahm aber doch das Körbchen und entfernte sich. An der Thüre
jedoch blieb er stehen, — „Eudoxia," sprach er mit fast weiner-
licher Stimme, „ich weiß recht gut, daß Du mehr Muth und
Klugheit in Augenblicken der Gefahr besitzest, als mir eigen ist,
und ich will mich Dir zu Liebe krank stellen, aber rufe den
Provisor aus dem Laboratorium herbei und laß den Arbeitsknecht
aus dem Keller heraufkommen, damit Du nicht ohne männlichen
Schutz bist, wenn man kommt und mich verlangt."
„Das soll geschehen, aber nun geh' und vertraue mir, ich
werde suchen, uns von allem Verdachte zu befreien," cntgegnete
Eudoxia und begleitete den Gatten bis an die zur oberen Woh-
nung führende Treppe, dann aber kehrte sie in die Offizin zurück,
welche sie unter Aufsicht des hcrbeigerufenen Provisors ließ, und
nahm in ihrem Zimmer Platz, ruhig erwartend, welche Folgen
der Genuß des an die Russen verabreichten Scheidcwnssers für
sie und ihren Gatten herbeiführen werde.
Aber von all den Personen, die nach und nach im Laufe
des Tages die Apotheke besuchten, war nicht eine, welche Anlaß
zu irgend einer Befürchtung hätte geben können, und es wurde
der Anfangs in ängstlicher Spannung harrenden Gattin des
Sophicnapothckers immer wahrscheinlicher, daß das Aqua fortis
den beiden Russen entweder nicht gefährlich geworden sein müsse,
oder Beide im schlimmsten oder auch günstigsten Falle so schnell
der tödtlicheu Wirkung desselben zum Opfer geworden wären,
daß sie gar nicht hätten aussagcn können, an welchem Orte sie
dasselbe genossen hätten, wodurch aber auch für Demetrius und
deffen Apotheke jede weitere Unannehmlichkeit mit der Sanitäts-
behörde für beseitigt zu betrachten sei.
So war denn der Tag zur Neige gegangen, und selbst De-
metrius, welcher in fieberhafter Ungeduld und Angst in seiner
Oberstube bei dem jedesmaligen Ertönen der Klingel am Verkaufs-
locale schreckhaft zusammenfuhr, fing an, sich der Hoffnung hin-
zugeben, daß seine Befürchtungen diesmal grundlos gewesen seien,
während Eudoxia, die ihn zu wiederholten Malen besucht, scherzend
über seine Gespensterseherei spöttelte und ihm ermuthigend zuredete,
seine freiwillige Gefangenschaft zu beenden und in die Apotheke
zurückzukehren, wozu er denn auch nach einigem Zögern sich
entschloß.
Aber kaum saß das Ehepaar im kleinen Wohnzimmer neben
der Apotheke, als plötzlich das Geräusch von Schritten einer dem
Hause sich nähernden Menschenmasie ertönte und den Apotheker
mit dem Angstrufe: „Herr des Himmels, jetzt kommen sie!" von
seinem Sitze aufjagte; aber ehe er noch Zeit gewann, sich nach
einem Verstecke umzusehen, traten fünfzehn Mann Russen unter
lautem Geschrei herein, au deren Spitze die beiden Unteroffiziere
sich befanden, welche nach des Apothekers festester Ucberzeugung
schon längst innerlich verbrannt, eine Beute des Todes geworden
sein mußten.
Im ersten Augenblicke schrack auch Eudoxia zusammen und
hielt diesen Trupp Soldaten für eine Patrouille, welche gekommen
sei, ihren Gatten als Gefangenen mitzunehmen; als sie aber
die wilden bärtigen Männer genauer betrachtete, welche weder
Gewehre, noch Piken trugen und nun vor dem Ladentische stehen
blieben, und den Handbewegungen ihrer Anführer, der mit Aqua
fortis bereits vergifteten Unteroffiziere, aufmerksam folgten, die
• bedeutungsvoll nach den Flaschen wiesen, in deren Reihe dieje-
nige Wutkibulle stehen mußte, aus welcher sie heute früh ge-
trunken, dabei sich schmunzelnd auf den Bauch schlugen und aus-
riefen; Oobri, dobri! da fiel es wie Schuppen von Eudoxia's
und des Apothekers Augen" und um sich nun vollkommen zu
überzeugen, daß für ihn nichts Gefahrdrohendes von diesen braven
Kriegern zu befürchten sei, trat Demetrius in die Apotheke, wo
er den Provisor bereits von den Russen mit dem Ausrufe:
^vobri Wutki!“ umlagert fand.
Der Sophienapotheker zu Bucharest gehörte zu derjenigen sehr
zahlreichen Classe von Helden, welchen die Natur die Gabe ver-
liehen, in Fällen, wo keine Gefahr vorhanden ist, sehr viel Muth
an den Tag zu legen. Nachdem sich daher Demetrius versichert,
daß seine Gattin den Blicken der Moskowiter nicht sichtbar war,
schob er den bei so ungestümem Andrange der durstigen Sol-
dateska verlegen gewordenen Provisor bei Seite und frug so
barsch als ihm dies möglich war, was die Gesellschaft eigentlich
wolle.
„Wutki!“ tönte es einstimmig aus allen Kehlen, und sämmt-
liche Hände der Beschützer der Moldau und Walachei wiesen nach
der Gegend hin, in welcher das Aquavit stand.
Demetrius ergriff hierauf eine ziemlich umfangreiche Branut-
weinflasche und schenkte drei Ouartgläser voll, welche sogleich unter
den Russen die Runde machten und mit Blitzesschnelle ausgelcert
wieder hingestellt wurden.
Aber es erscholl kein „Dobri!“ sondern die mit den beiden
Unteroffizieren eingetretenen Soldaten sahen diese fragend an,
als wollten sie sagen: „Ihr habt uns belogen, das ist ja ganz
gewöhnlicher Fusel!" und diese schüttelten mißbilligend die Köpfe
und riefen finster: „Nix ma dobri!" und gaben so deutlich es
ihrer Mimik möglich war, zu verstehen, daß sie solchen Wutki
haben wollten, wie sie heute früh hier erhalten.
Jetzt war an dem Apotheker die Reihe, den Kops zu schütteln
und verlegen zu werden. Er zauderte, diesem Begehren zu will-
fahren und sah sich ängstlich nach dem Provisor und seiner
Gattin um, die Russen aber schienen sehr pressirt zu sein und
schrieen halb bittend, halb befehlend:
„Hospanni, dobri Wutki ," und wiesen dabei nach den nächst-
stchenden Flaschen.
Aquavit und Aqua fortis.
„Lieber Demetrius/' begann sie ernst aber freundlich, ihm
näher tretend, während er mit stieren Blicken bald auf den In-
halt des Körbchens, bald auf seine Frau blickte, „Du bist gegen-
wärtig hier unten nichts nütze, gehe daher in das obere Gemach,
nimm diese Lebensmittel mit und verhalte Dich dort ganz ruhig,
ich werde unfern Leuten sagen. Du seiest unwohl geworden;
wenn aber sich irgend etwas ereignen sollte, wobei Deine Gegen-
wart hier unten nöthig würde, dann werde ich es Dir wissen
lassen, und sollten wir uns ohne Zeugen nicht sprechen können,
so merke Dir, daß ich auf alle Fragen wegen dieser Verwechse-
lung der Flaschen fest dabei stehen geblieben bin, daß Du den
Russen einen gewöhnlichen Branntwein verabreicht hast und Scheide-
wasser hier im Laden nie aufbewahrt wird/'
„Das wird uns Alles nichts helfen," seufzte Demetrius,
nahm aber doch das Körbchen und entfernte sich. An der Thüre
jedoch blieb er stehen, — „Eudoxia," sprach er mit fast weiner-
licher Stimme, „ich weiß recht gut, daß Du mehr Muth und
Klugheit in Augenblicken der Gefahr besitzest, als mir eigen ist,
und ich will mich Dir zu Liebe krank stellen, aber rufe den
Provisor aus dem Laboratorium herbei und laß den Arbeitsknecht
aus dem Keller heraufkommen, damit Du nicht ohne männlichen
Schutz bist, wenn man kommt und mich verlangt."
„Das soll geschehen, aber nun geh' und vertraue mir, ich
werde suchen, uns von allem Verdachte zu befreien," cntgegnete
Eudoxia und begleitete den Gatten bis an die zur oberen Woh-
nung führende Treppe, dann aber kehrte sie in die Offizin zurück,
welche sie unter Aufsicht des hcrbeigerufenen Provisors ließ, und
nahm in ihrem Zimmer Platz, ruhig erwartend, welche Folgen
der Genuß des an die Russen verabreichten Scheidcwnssers für
sie und ihren Gatten herbeiführen werde.
Aber von all den Personen, die nach und nach im Laufe
des Tages die Apotheke besuchten, war nicht eine, welche Anlaß
zu irgend einer Befürchtung hätte geben können, und es wurde
der Anfangs in ängstlicher Spannung harrenden Gattin des
Sophicnapothckers immer wahrscheinlicher, daß das Aqua fortis
den beiden Russen entweder nicht gefährlich geworden sein müsse,
oder Beide im schlimmsten oder auch günstigsten Falle so schnell
der tödtlicheu Wirkung desselben zum Opfer geworden wären,
daß sie gar nicht hätten aussagcn können, an welchem Orte sie
dasselbe genossen hätten, wodurch aber auch für Demetrius und
deffen Apotheke jede weitere Unannehmlichkeit mit der Sanitäts-
behörde für beseitigt zu betrachten sei.
So war denn der Tag zur Neige gegangen, und selbst De-
metrius, welcher in fieberhafter Ungeduld und Angst in seiner
Oberstube bei dem jedesmaligen Ertönen der Klingel am Verkaufs-
locale schreckhaft zusammenfuhr, fing an, sich der Hoffnung hin-
zugeben, daß seine Befürchtungen diesmal grundlos gewesen seien,
während Eudoxia, die ihn zu wiederholten Malen besucht, scherzend
über seine Gespensterseherei spöttelte und ihm ermuthigend zuredete,
seine freiwillige Gefangenschaft zu beenden und in die Apotheke
zurückzukehren, wozu er denn auch nach einigem Zögern sich
entschloß.
Aber kaum saß das Ehepaar im kleinen Wohnzimmer neben
der Apotheke, als plötzlich das Geräusch von Schritten einer dem
Hause sich nähernden Menschenmasie ertönte und den Apotheker
mit dem Angstrufe: „Herr des Himmels, jetzt kommen sie!" von
seinem Sitze aufjagte; aber ehe er noch Zeit gewann, sich nach
einem Verstecke umzusehen, traten fünfzehn Mann Russen unter
lautem Geschrei herein, au deren Spitze die beiden Unteroffiziere
sich befanden, welche nach des Apothekers festester Ucberzeugung
schon längst innerlich verbrannt, eine Beute des Todes geworden
sein mußten.
Im ersten Augenblicke schrack auch Eudoxia zusammen und
hielt diesen Trupp Soldaten für eine Patrouille, welche gekommen
sei, ihren Gatten als Gefangenen mitzunehmen; als sie aber
die wilden bärtigen Männer genauer betrachtete, welche weder
Gewehre, noch Piken trugen und nun vor dem Ladentische stehen
blieben, und den Handbewegungen ihrer Anführer, der mit Aqua
fortis bereits vergifteten Unteroffiziere, aufmerksam folgten, die
• bedeutungsvoll nach den Flaschen wiesen, in deren Reihe dieje-
nige Wutkibulle stehen mußte, aus welcher sie heute früh ge-
trunken, dabei sich schmunzelnd auf den Bauch schlugen und aus-
riefen; Oobri, dobri! da fiel es wie Schuppen von Eudoxia's
und des Apothekers Augen" und um sich nun vollkommen zu
überzeugen, daß für ihn nichts Gefahrdrohendes von diesen braven
Kriegern zu befürchten sei, trat Demetrius in die Apotheke, wo
er den Provisor bereits von den Russen mit dem Ausrufe:
^vobri Wutki!“ umlagert fand.
Der Sophienapotheker zu Bucharest gehörte zu derjenigen sehr
zahlreichen Classe von Helden, welchen die Natur die Gabe ver-
liehen, in Fällen, wo keine Gefahr vorhanden ist, sehr viel Muth
an den Tag zu legen. Nachdem sich daher Demetrius versichert,
daß seine Gattin den Blicken der Moskowiter nicht sichtbar war,
schob er den bei so ungestümem Andrange der durstigen Sol-
dateska verlegen gewordenen Provisor bei Seite und frug so
barsch als ihm dies möglich war, was die Gesellschaft eigentlich
wolle.
„Wutki!“ tönte es einstimmig aus allen Kehlen, und sämmt-
liche Hände der Beschützer der Moldau und Walachei wiesen nach
der Gegend hin, in welcher das Aquavit stand.
Demetrius ergriff hierauf eine ziemlich umfangreiche Branut-
weinflasche und schenkte drei Ouartgläser voll, welche sogleich unter
den Russen die Runde machten und mit Blitzesschnelle ausgelcert
wieder hingestellt wurden.
Aber es erscholl kein „Dobri!“ sondern die mit den beiden
Unteroffizieren eingetretenen Soldaten sahen diese fragend an,
als wollten sie sagen: „Ihr habt uns belogen, das ist ja ganz
gewöhnlicher Fusel!" und diese schüttelten mißbilligend die Köpfe
und riefen finster: „Nix ma dobri!" und gaben so deutlich es
ihrer Mimik möglich war, zu verstehen, daß sie solchen Wutki
haben wollten, wie sie heute früh hier erhalten.
Jetzt war an dem Apotheker die Reihe, den Kops zu schütteln
und verlegen zu werden. Er zauderte, diesem Begehren zu will-
fahren und sah sich ängstlich nach dem Provisor und seiner
Gattin um, die Russen aber schienen sehr pressirt zu sein und
schrieen halb bittend, halb befehlend:
„Hospanni, dobri Wutki ," und wiesen dabei nach den nächst-
stchenden Flaschen.