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Die Gewohnheit der Liebe größter Feind.

die jungen Leute in den Flitterwochen und glaubten schon in
ihrer überschwenglichen Liebe das magische Geheimniß des Glücks
entdeckt zu haben — das Mittel, den Regenbogen festzuhalten
— die Schaumblase auf dem Strome zu ergreifen. Aber wie
gar bald schwebt die zärtlichste eheliche Liebe in die Atmosphäre
der Alltäglichkeit hinüber! Wie fade wird der Trank, wenn die
Perlen im Becher verdunsten! So auch bei unserm Paare.
Was anfangs Leidenschaft war, ward bald zur Gewohnheit.
Da sie nichts zu thun hatten als sich gegenseitig anzusehen,
so mußte nothwendiger Weise, wenn auch die Gesichter noch
so hübsch waren, dann und wann ein Gefühl von Langeweile
und, o, daß ich es sagen muß! eine Neigung zum Gähnen
j sie beschleichen. Versuchte dann Eines oder das Andere, vom
Reiz der Neuheit getrieben, sich nnt etwas Anderem zu be-
schäftigen, so fielen mitunter spitze Reden, etwa so:

„Aber Alfred, warum sprichst Du denn gar nicht mit
mir? fesselt Dich denn das garstige Buch, in dem Du schon
so lange liesest, mehr als Deine Clementine?"

„Aber Clemcntine, Du hörst ja nicht auf mich. Der dumme
Kanarienvogel, mit dem Du Dich bereits eine Stunde unter-
hältst, scheint Dir interessanter zu sein als meine Gesellschaft."

Solche und ähnliche Reden wurden immer häufiger. Dann
und wann trieben sie kleine Scherze miteinander, die anfangs
harmloser Natur waren, später aber einen Beigeschmack von
Bitterkeit annahmen. Sie suchten dann wohl ihre gegenseitigen
Schwächen auf, fanden solche unglücklicherweise und — was
noch schlimmer war — machten auch den Stachel dagegen aus-
findig. Kurz, die Schaumblase war nahe daran, zu zerplatzen.

Eines Morgens trat Alfred an das Bett seiner Clemen-
tine, die noch in süßem Schlummer lag. Als er sie eine Weile

betrachtet hatte, fiel ihm plötzlich ein kleiner Leberfleck auf ihrer
linken Wange auf. — „Aber zum Teufel!" dachte er — „wie
kommt denn der hieher? den habe ich ja noch gar nicht gesehen!

— wahrhaftig — es ist ein Mahl — wie garstig!"

Beim Frühstück war Alfred mürrisch, Clementine da-
gegen lustig. Letztere schlug einen Spaziergang vor — Al-
fred wollte auf seinem Zimmer bleiben.

„Nun so will ich Dir etwas Vorsingen, Alfred."

„Nicht doch, Clementine, ich habe Kopfweh und Deine
Stimme ist manchmal so grell!"

Clementine sah ihren Gatten vorwurfsvoll an und be- '
merkte dabei — zum ersten Male — in dessen Augen etwas
Auffälliges. „Wäre es denn möglich!" — dachte sie bei sich

— „Alfred fängt an zu schielen, so wahr ich lebe!"

Beide schwiegen über die gegenseitig an sich gemachten
Entdeckungen — doch schien es Alfred im Laufe des Tages,
als ob das Mahl auf Clementinens Wange noch größer gewor-
den sei, sowie andererseits es Clementinen schien, als nähme
Alfred's Schielen noch mehr zu. Mit jedem Tage nahmen diese
Uebel, so schien es den Eheleuten — an Umfang zu, doch
hielt sie noch ihr Zartgefühl ab, über diese vermeintlichen Ge- j
brechen sich gegenseitig aufzuklären, obwohl, die Wahrheit zu ge-
stehen, Clementine gar zu gern ihrem Gatten einen Wink
über dessen üble Angewöhnung gegeben hätte und nur auf
eine günstige Gelegenheit dazu tvartete. Diese fand sich bald.
Als sie eines Morgens gemeinschaftlich ein Heft Kupferstiche
durchblättertcn und dabei auf ein weibliches Porträt stießen,
sagte Alfred: „wie hübsch!" — „Meinst Tu mich, Alfred?"
— „Im Gegentheil, das Bild." — „Dann bitte ich um
Entschuldigung, Alfred, aber ich glaubte, Du sähest mich
dabei an. Wirklich, lieber Alfred, Du hast seit einiger Zeit
so eine üble Gewohnheit angenommen — Dein Blick ist jetzt
so seltsam — fast als ob Du — schielen lerntest!"

„Madame!" schrie Alfred und rannte zum Spiegel. —

„Nimm es nur nicht übel, Liebster. Ich sage es Dir
bei Zeiten, ehe das Uebel zu sehr einwurzelt. Jetzt kannst
Du Dir es noch abgewöhnen — klebe Dir nur etwas auf
die Nasenspitze — da lernst Du wieder gerade ausschauen."

„Ich mir etwas auf die Nasenspitze kleben?" — schrie
Alfred im höchsten Zorn — „klebe Tu Dir lieber ein Pflaster
auf Dein großes Mahl im Gesichte!"

„Ich ein Mahl im Gesicht!" rief Clementine und rannte
ebenfalls zum Spiegel — „wie impertinent!"

„Ich schielen!" rief Alfred — „wie abgeschmackt!"

Ter Himmel weiß, wie weit dieser Streit geführt hätte,
wenn nicht Di-. Ix aus der benachbarten Stadt erschienen wäre,
um die jungen Eheleute einmal zu besuchen. Diese hatten nun
nichts Eiligeres zu thun als den Freund und Arzt wegen ihrer
vermeintlichen Uebel um Rath zu fragen und erwarteten dessen
Ausspruch mit Spannung. Ter Arzt, dem die Sache sonder-
bar vorkam, fragte Alfred: „aber wie kommt es denn, daß
Sie das Mahl bei Ihrer Frau Gemahlin erst jetzt entdeckt
haben? sind Sie denn auf längere Zeit abwesend gewesen und
haben Sie das Mahl erst nach Ihrer Rückkehr bemerkt?"
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Die Gewohnheit der Liebe größter Feind"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

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Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Paar <Motiv>
Gähnen
Lektüre <Motiv>
Ehe
Karikatur
Langeweile <Motiv>
Satirische Zeitschrift

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Künstler/Urheber (GND)
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Reproduktionstyp
Digitales Bild
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Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 20.1854, Nr. 459, S. 18

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