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Aus Herrn Gras s Tagebuch,

verfaßt auf einer Reise zur Münchener Industrie-
Ausstellung.

(Schluß.)

Da hingegen der Reisende von Bildung und Geschmack,
zumal wenn er zugleich auch ein Menschenfreind ist. sich die
Vergnigunge» des Volkes auch ansehen muß. so gingen wir
an einen Sonntag Nachinittags um den Prater aufznsuchen,
welches jedoch sehr schwer ist, indem Minchen ans dieser Seide
aus lauter verschobene Winkel besteht. Auch viele vergeb-
liche Versuche auf unsrer Landkarte von der Stadt fanden
wir es endlich und traten in einen Garten, allwo der Soldate
und die Köchin, der Schuster und die Butzmachermamsell, der
Artollerift und die Rctlichfrau gans bunt durcheinander fasen.
Es ist in Beiern ein sehr weises Landesgesetz, daß jedes die-
nende Bersohnal iveiblicher Abkunft, als wie jede Köchin,
jedes Stubenmedchen und so weiter, einen militherrischen
Beschitzer ihrer Unschuldigkeit hat; manche hat auch zweie
und noch mehrere das heißt Beschitzer aus dem Kriegerstnnde.
Ter Schwahlangscheerer und der Kührassirer macht immer
das mehrste Glick bei das scheene Geschlecht.

Auch mit die Haartnren ist es hier gans eichenthiemlich,
die altern Frauenzimmer tragen gans strubfliches Haar, welches
jedoch aus einer Belzmitze besteht. Die jingeren Medchen
haben die Haare mit Silber und Goldzeig bewickelt, damit
daß man nicht sieht, wenn sie keine nicht mehr haben. Diese
Mode ist nun freilich lendlich, jedoch auch sitlich, gewehrt
aber von der Rickseide einen sonderbaren bithoreskischen An-
blick, wie Kohle sagte, der sich davon eine Schlitze gemacht hat.

Wir haben auch in den Garten einige sehr schöne Jagd-
bilder gesehen, welche sehr lebhaft in die Kommbesitzion waren
und auch ein fehlerlooses Kohlaritt hatten, wie Kohle sehr
richtig bemerkte, welcher auch behaubten wollte, daß sie gewiß
von einen großen Meister aus der neicrn Schule herrihrten

Sodann gingen wir in den Tanzsaal, wo sie grade
einen deitschen Naziohnaltanz anffihrten, welcher Franksässe
Heist und so ein Bild von heislichen Glick und Frieden giebt.
Da stehen sic einander gegeniber, dann verbeigen sic sich,
dann laufen sie aufeinander los, dann drehen sie sich wieder
den Ricken zu, welches in einer Haushaltung auch vorkommt,
dann leist die Frau zum Nachbar und der Mann zur Nach-
barin, dann tritt wohl auch einmal Einer den Andern auf
die Fiste, dann wird auch Einer grob und giebt den Andern
einen Ribbenstoß. Zuletzt wenn sie sich genug hin und her
geschubst und gestosen haben, fassen sie sich alle bei die Hende
und wollen eben nun einmal recht vergnigt sein, da kommt
aber auf einmal der Mann, welcher das Geld von das
Tanzen einkassirt und damit ist das ganse Bergnigen gestert.
Dieses ist doch wirklich das treieste Bild von unfern deitschen
Familichenlebenswandel, wenn wir da eben auch einmal an-
fangen, recht lustig sein zu wollen, da kommt so ein kenig-
licher Sleiereinnehmer und mischt sich in das ganse Bergnigen,
welches er verdirbt wie ein Brechbilferchen in die Milch.

Das sonderbarste in die deitsche Tanzkunst ist jedoch die
sogenannte Bohlka, wo man erst die Tenzerin anfaßt, mit
ihr drei Schritt vorschasirt, dann sie losläßt, dann die Beine
in die Höhe schlägt und sich herumdreht. Auch ich habe cs
versucht, diese Bohlka mit zu tanzen, doch konnte ich nicht
in den Tackt kommen und wenn ich meine Tenzerin losge-
lassen hatte und hervorschasirte, so kriegte ich dann immer
in das Gedrenge eine andere zu erfassen, welches mir einige
Mal bedeitende Grobheiten znzog, die ich jedoch glicklicher
Weise nicht verstehen that, weil sie in das Niedrigdeitsche
übersetzt waren und ich blos hochdeitsch sbreche.

Kohle hatte sich einstweilen auf einen Stuhl blasirt, von
ivo ans er die ganse Tanzerei sehen konnte, welche er nun
in sein Schkitzenallbum abzeichnen that. Wie er damit bald
fertigt war, so trat auf einmal ein rechter großer und grober
Kerl an ihn heran und sah in Kohlen sein Buch. Nun
mochte sich aber der Große wahrscheinlich durch die Zeich-
nung getroffen fihlen, denn auf einmal gab er Kohlen mit
der Hand einen so firchterlichen Schlag auf den Hut, daß
er ihn (nämlich der Hut, nicht etwa der große Kerl) bis
an den Halz hineinsuhr und nun schimbfte er auch noch dazu,
daß es einen Angst und bange werden that, weshalb ich
Kohlen unter die Arme greifen that und ihn aus das mensch-
liche Gewihle hinansschlebte.

Durch einige Glas Bier kam Kohle, welcher vor Er-
schreckung gans ohne Wissenschaft von sich dagelegen hatte,
wieder zu seiner deitlichen Besinnlichkeit, doch verließen wir
bald darauf dieses Volksvergnigen, welches doch etwas zu ge-
reischvoll zugeht.

Als ich mir Kohlen sein Bild besah, welches er von
die Bohlka gemalt hatte, so war von den großen Kerl mit
der Hand hindriber gefahren worden, wodurch eine dunkle
Ferbung entstanden ist, welches man wahrscheinlich auch nnt
unter die Familiche der Schlagschatten rechnen muß.

Sehr gerne wäre ich noch länger in Minchen geblieben,
allein ich kann mich an den Thealeckt nicht gewehnen und muß
es mir erst allemal übersetzen lassen, wenn Einer mit mir
sbricht. So machen sie auch so verrückte Liederchen in dieser
Sbrache, wo ich mir habe eins ausgeschrieben, welches heißt:
I hob schon drei Somma
Mir's Hoamgch vorgnomma,

I hob schon drei Somma
Mei Tirnd'l net g'sehn.

Dieses soll nemlich ans Deitsch übergesetzt heißen: Ich
habe meine Liebste (welches hier Dirndeln sind) schon drei-
mal in einen Sommer nicht gesehn, obgleich ich mir eine
Zuhausegehung vorgenommen hatte.

Nun geht es weiter:

Ans mi wart's no imma,

Sie moant, i chomm nimma,

Auf mi wart's no imma,

Wie wird ihr geschehn.

Das heißt nun auf unser Deitsch so viel als wie daß sie
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