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Sentimentale Briefe.

tiges Emporium, hier, wo man wie ein Sieger herniederschaut
auf grüne, fruchtbare Länder und blühende Städte?!" Mein
Vater lachte markerschütternd, und ich verhüllte 'mein Antlitz
schmollend. Doch bald siegte die kindliche Liebe; auch fühlte
ich mich durch den. Ritt nicht abgeneigt gemacht, einige
Stückchen von einem Backhuhn zu genießen, welches mein gu-
ter Vater zu verzehren sich eben anschickte. Es war zwei
Uhr Nachmittags. Wir ritten auf unfern Eseln durch die
Wälder und Weingärten hinab in das sonnenglänzende Thal
und wurden halbgebraten zu einem Omnibusse gebracht, der
uns in die völkerwimmelnde Hauptstadt zurückrollte. Den Abend
brachten wir im Opernhause zu. Man gab „Karnevalsaben-
theuer in Paris." O Leonie! Es war das erste Ballet,
das ich im Leben sah! Das ästhetische Gefühl wird sichtbar
befriedigt, denn unser während der Ouvertüre noch konzentrir-
tes Innere zerlegt sich bei den Ensembles in so viele Thcile,
als Tänzerinen vor unseren Augen schweben, Hüpfen, sich
drehen und Entrechats machen. Jeder Gedanke in uns ge-
winnt Füße und Hände, die sich zärtlich nach allen Richtungen
hin senken und heben, unser ganzes Ich wirbelt oft empor
und löst sich in eine interessante Stellung auf. In keiner
Kunst verschmilzt Geist und Seele so sehr in Eines, wie in
der Tanzkunst, und ich hätte nie gedacht, daß man durch eine
erblickte Fnßemporhaltnng zu Thränen gerührt werden könnte.
Fräulein Conqui macht mit ihrem rechten Fuß eine Liebes-
Erklärung, die selbst einen Cato rühren müßte, und mit
ihrem linken spricht sie alle Gefühle der Sehnsucht, der Hin-
gebung, der Trauer und selbst der Verachtung aus. O Leo-
nic! Was sind diese Stücke von Schiller und Goethe, von
, Shakespeare gegen ein solches Ballet? Gelehrte und gelernte
Phrasen gegen lebendige Gefühle, gegen Empfindungen inHand-
lnng und Wandlung! Gute Nacht! Ich bin so schläfrig, daß
mir die Lider der Augen zufallen.

Am 28. Juki.

Ich sprang heute Morgens ans den Pfühlen meines
'■ Lagers und schwebte zum Fenster. Militärmusik erscholl auf
der Straße. Ena polca delicieuse! Ich fühlte wie Demoiselle
Conqui! Ich hob meinen Fuß in die Höhe, ich streckte sehn-
süchtig meine Arme vor mich hin und schwebte hin und wie-
der. Mein Inneres war Hauch der Gottheit, mein Acußeres
beflügelte Elastizität geworden. Mein Vater trat ins Gemach.
O diese Männer! Enthusiasmus wohnt nur in weiblichen
Busen! Wir tranken Kaffee und eilten in das Parlaments-
Hans. Der Saal der Abgeordneten ist magnifiqne, groß, zum
Ersticken heiß. Doktor Ricger sprach hinreißend; man sagte
mir, er wäre eine historisch-politische Individualität. Er sprach
von „böhmischen Dickschädeln;" was er perorirte, verstand ich
nicht ganz, doch ist in meinem Innern der Begriff von histo-
risch-politischer Individualität und von böhmischen Dickschädeln
zu einem Ganzen verschmolzen, welches sich kaum mehr che-
misch zersetzen ließe. Er ist übrigens ein sehr interessanter,
schöner Mann, und man muß seinen Worten glauben. Merk-
würdig war mir dies, daß ich von jedem Redner vollkommen

überzeugt wurde, und jeden für den Weisesten hielt, der zuletzt
gesprochen hatte. Das ist eben das Schönste in den Consti-
tutionen, daß jeder freie Bürger Alles sagen kann, was er
will, und Jeder von dem überzeugt wird, was ein Anderer
gesprochen. Dies wirkt so versöhnend auf die Gemüther, denn
wo Jeder Recht hat, da hat Keiner Unrecht. Es erhebt das ’
Bewußtsein der sittlichen Kraft, und soll das einzige Mit- 1
tel sein, das Silberagio herabzudrücken. Du sichst! ich bin
ganz Politikerin geworden. Liebchen, was willst Du noch
mehr! — Die Auslagen in Wien sind wahrhaft feenhaft, bei
Nacht überirdisch! Dazu das Fluthen der Menschenmenge,
das Rollen der hunderttausend Wagen, das Stoßen und
Drängen, die Schiebkarren, Musik ans jedem Fenster, lächelnde
Frauen, lorgnettirende Herren, — ganz Tausend und Eine
Nacht. Leonie! Ich drücke Dir den Kuß der Liebe auf
Mund und Stirne.

Deine Scheherazade.

Mein Vater sitzt so eben im Frühstückszimmer und ißt !
ein „Schnitzel."

Beim Farren-Concurs.

Der Vorstand des Vereins: „Darauf möchte ich

Sie noch aufmerksam machen, meine Herren, daß wir die
Schweizer-Stiere nicht zur Preisbewerbung zulasscn, sonst ist
es rein unmöglich, daß ein anderer Mensch mit diesen Viechern
concurriren kann."

Katechisation.

Geistlicher: „Geben ist seliger, denn nehmen. Wie ist j
das zu verstehen? Der Stcffelbauern-Peter soll mir das sa- ;
gen; wie verstehst Du das?"

Peter: „Ja, das versteh' ich schon."

Geistlicher: „Gut, so nenne mir ein Beispiel. In

welcher Weise ist es also besser: Du gibst Etwas her, als

wenn Du Etwas bekommst?"

Peter: „Es ist besser, man gibt ein' a Watsch'n, a

g'scheidti, als man kriegt eine."

Auf der Eisenbahn.

Erster Reisender: „Sie dürfen mir s glauben, ich

trenne mich von Wien mit zentnerschwerem Herzen!

Zweiter Reisender: „Nur nicht so laut! Wenn das
der Condukteur hört, müssen Sie gleich einen Gulden für s
llebergewicht zahlen, denn es sind nur 23 Pfund frei!

Grabsteine und Monumente.

Genügt es Dir, o Mensch, doch nicht,
Der Lüge selbst zu dienen.

Da Du auch Erz und Steine
Verführ'st zur Lügnerei!
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