Eine Offizierswahl.
bois de Boulogne am Franz - Josephs - Quai. DaS
Theater daselbst ist schön, aber hölzern. Der Entre-
preneur hat sich verpflichtet, ein steinernes Prachttheater
>u erbauen, da er aber auch eine historisch-politische In-
dividualität ist, so kümmert er sich gar nicht um seinen
Eid, und läßt es — beim Alten, bis seine Bude zu-
sammenbricht. Gesetzlosigkeit scheint hier überall zu herr-
schen. Der Ungenirte hat Recht. Die soeurs-gris er-
bauen sich von dem Suppengelde der Kranken ihre soge-
nannten „Mutterhäuser," und die Fiaker kümmern sich
um die Polizcitaxe nicht im Mindesten. La cordialite
regne partout. Man soll aber auch in keiner Stadt
der Welt so uugcuirt leben, wie in Wien, so ganzeliaeun
L son goüt. Man sagt, dcßhalb hätte Shakespeare
sein Drama „measure for measure" in Wien spielen
lassen. Also schon damals? O ihr Götter! Der Edle
verhüllt sein Antitz und denkt an Babylonien! Leonie!
fühlst Du die Veränderung in mir? Ich bin Philo-
sophin geworden, — jede Fiber in mir zürnt im Er-
fassen des Unebenen, meine Seele gleicht der Mimose
und mein Herz der Blüthe des Akanthus. Diese Reise
hat mich zur vollen Blüthe gebracht. Ich trauere
darob. Bald aber soll ich wieder mit Dir vereinigt wer-
den, und ich schwelge in diesem Gedanken. Geister mei-
ner unsterblichen Jda Gräfin Hahn, meiner Amely
Bölte, meiner Anna Löhn — steht vor meinem Geiste,
lehrt mich das Gehcimniß des Daseins hinhauchen, aus-
plaudcrn, wie Ihr cs gcthan zur Entwicklung der weiblichen
Brust! Wir Mädchen müssen Mütter werden. Das ist die Be-
stimmung jeder frommen Jungfrau, und unsere Söhne sollen mit
dem Schwerte hinab steigen in die Fluren Italiens, in die Ebenen
des Elsasses, in die Haiden Ungarns und Bosniens, um die Herr-
schaft des Germanenthums zu verkünden allen Völkern zwischen
dem Balkan und zwischen Holland. Aber vorher müßten wir uns
selbst klar werden, che wir ein Hcldengcschlecht großziehcn.
Daher, meine Schwestern, leset, und laßt den Strickstrumpf!
Entwickelt Eure Seelen, wie ich die weinige entwickelt habe —
durch Reisen. Kunst, Patriotismus, Religion werden in Eu-
ren Herzen aufschicßen wie die Palmen am Rande der Wüste!
Und heute zu Tage reiset man so billig auf der Eisenbahn!
Im Fluge durchstürmt Ihr die Welt, und Bilder des Men-
schenthumcs rollen sich vor Euren Blicken auf. Veröffentlicht
Reiseberichte! Laßt drucken, so viel cs nur möglich ist. Jetzt,
Leonie meiner Seele, drücke ich Dir den Kuß der Liebe aus
Deine Stirne! Au revoir! Laura Fischer.
Eine Offizierswahl.
Hauptmann: „Meine Herren — der Portcpecfähnrich
Karl Döckc hat seine Offiziers-Prüfung mit Auszeichnung
abgelegt. Er ist zugleich ein sehr hübscher, kräftiger und ta-
lentvoller junger Mann. Ich denke, wir werden an ihm einen
ganz chrenwerthen Kameraden haben." — Premierlicu-
tenant: „Straf' mich Gott, es ist 'n strammer Junge,
wie ich selten einen gesehen, und sehr bescheiden, das muß
man sagen, denn wenn ich seine dicken Beine und statt mei-
nes Mondscheines seinen prächtigen Cacadou hätte, ich würde,
glaube ich, selber noch 'mal die hohe Schnauze aufstecken,
wie ich es in meinen jungen Jahren machte." — Lieute-
nant: „Hören Sic 'mal, Herr Kamerad, das ist kein
Standpunkt, den Sic da einnchmcn. Es ist und bleibt
nun einmal von hoher Wichtigkeit für den Geist der Armee,
daß das Offizierskorps durch sein musterhaftes Benehmen
vorleuchte, und jeden Salong durch sein Auftreten zu schmü-
cken im Stande sei. Run habe ich aber die persönliche Er-
fahrung gemacht, daß Döcke dieser Aufgabe durchaus nicht
gewachsen ist. Ich traf ihn nämlich eines Abends bei Kom-
merzicurath von Schierling im Salong. Schierling war da-
mals eben geadelt worden, ich fand also keinen Grund, seine
Einladung abzulehnen. Während des Cotillons saß Döcke
neben dem Fräulein von Liebel auf einem Sofa. Döcke war
nicht cngagirt, wurde aber häufig von Damcu gewählt. Als
er nun einmal seine Tour geendigt hatte, ließ er sich mit
aller Wucht seiner starken Figur auf das Sofa zurückfallen,
welches natürlich mit Stahlfedern versehen war. Die Wirkung
war die, daß das Fräulein von Liebel wenigstens zwei Fuß,
sage ich Ihnen, in die Luft geschnellt wurde, und den Grau-
pcuschleim, den sie eben schlürfte, über ihr Kleid vergoß. Sie
stieß dabei einen Schrei aus, ungefähr so stark, wie der
Schmerzensschrei Jtalichcns, so, daß sich Alles fragte, was
geschehen sei. Ich brauche nicht zu sagen, daß die ganze
Welt über diesen Bauernfähnrich entrüstet war. Er aber,
er nahm das Ding auf die leichte Achsel, und lehnte unsere
Aufforderung, sich bei der Dame zu entschuldigen, lachend
und scherzend ab. Ich überlaste cs nun Ihrem Feingefühle,
meine Herrn, zu beurtheilcu, ob unsere Arniec einen Offizier
brauchen kann, welcher hochstehende Damen gewissermaßen
fuchsprellt, und sie dann nicht einmal um Verzeihung bittet."
Hauptmann (lächelnd): „Meine Herren, eine solche
Gesinnung ist die sicherste Bürgschaft, daß Deutschland das
linke Rhcinufer nicht verlieren kann."
bois de Boulogne am Franz - Josephs - Quai. DaS
Theater daselbst ist schön, aber hölzern. Der Entre-
preneur hat sich verpflichtet, ein steinernes Prachttheater
>u erbauen, da er aber auch eine historisch-politische In-
dividualität ist, so kümmert er sich gar nicht um seinen
Eid, und läßt es — beim Alten, bis seine Bude zu-
sammenbricht. Gesetzlosigkeit scheint hier überall zu herr-
schen. Der Ungenirte hat Recht. Die soeurs-gris er-
bauen sich von dem Suppengelde der Kranken ihre soge-
nannten „Mutterhäuser," und die Fiaker kümmern sich
um die Polizcitaxe nicht im Mindesten. La cordialite
regne partout. Man soll aber auch in keiner Stadt
der Welt so uugcuirt leben, wie in Wien, so ganzeliaeun
L son goüt. Man sagt, dcßhalb hätte Shakespeare
sein Drama „measure for measure" in Wien spielen
lassen. Also schon damals? O ihr Götter! Der Edle
verhüllt sein Antitz und denkt an Babylonien! Leonie!
fühlst Du die Veränderung in mir? Ich bin Philo-
sophin geworden, — jede Fiber in mir zürnt im Er-
fassen des Unebenen, meine Seele gleicht der Mimose
und mein Herz der Blüthe des Akanthus. Diese Reise
hat mich zur vollen Blüthe gebracht. Ich trauere
darob. Bald aber soll ich wieder mit Dir vereinigt wer-
den, und ich schwelge in diesem Gedanken. Geister mei-
ner unsterblichen Jda Gräfin Hahn, meiner Amely
Bölte, meiner Anna Löhn — steht vor meinem Geiste,
lehrt mich das Gehcimniß des Daseins hinhauchen, aus-
plaudcrn, wie Ihr cs gcthan zur Entwicklung der weiblichen
Brust! Wir Mädchen müssen Mütter werden. Das ist die Be-
stimmung jeder frommen Jungfrau, und unsere Söhne sollen mit
dem Schwerte hinab steigen in die Fluren Italiens, in die Ebenen
des Elsasses, in die Haiden Ungarns und Bosniens, um die Herr-
schaft des Germanenthums zu verkünden allen Völkern zwischen
dem Balkan und zwischen Holland. Aber vorher müßten wir uns
selbst klar werden, che wir ein Hcldengcschlecht großziehcn.
Daher, meine Schwestern, leset, und laßt den Strickstrumpf!
Entwickelt Eure Seelen, wie ich die weinige entwickelt habe —
durch Reisen. Kunst, Patriotismus, Religion werden in Eu-
ren Herzen aufschicßen wie die Palmen am Rande der Wüste!
Und heute zu Tage reiset man so billig auf der Eisenbahn!
Im Fluge durchstürmt Ihr die Welt, und Bilder des Men-
schenthumcs rollen sich vor Euren Blicken auf. Veröffentlicht
Reiseberichte! Laßt drucken, so viel cs nur möglich ist. Jetzt,
Leonie meiner Seele, drücke ich Dir den Kuß der Liebe aus
Deine Stirne! Au revoir! Laura Fischer.
Eine Offizierswahl.
Hauptmann: „Meine Herren — der Portcpecfähnrich
Karl Döckc hat seine Offiziers-Prüfung mit Auszeichnung
abgelegt. Er ist zugleich ein sehr hübscher, kräftiger und ta-
lentvoller junger Mann. Ich denke, wir werden an ihm einen
ganz chrenwerthen Kameraden haben." — Premierlicu-
tenant: „Straf' mich Gott, es ist 'n strammer Junge,
wie ich selten einen gesehen, und sehr bescheiden, das muß
man sagen, denn wenn ich seine dicken Beine und statt mei-
nes Mondscheines seinen prächtigen Cacadou hätte, ich würde,
glaube ich, selber noch 'mal die hohe Schnauze aufstecken,
wie ich es in meinen jungen Jahren machte." — Lieute-
nant: „Hören Sic 'mal, Herr Kamerad, das ist kein
Standpunkt, den Sic da einnchmcn. Es ist und bleibt
nun einmal von hoher Wichtigkeit für den Geist der Armee,
daß das Offizierskorps durch sein musterhaftes Benehmen
vorleuchte, und jeden Salong durch sein Auftreten zu schmü-
cken im Stande sei. Run habe ich aber die persönliche Er-
fahrung gemacht, daß Döcke dieser Aufgabe durchaus nicht
gewachsen ist. Ich traf ihn nämlich eines Abends bei Kom-
merzicurath von Schierling im Salong. Schierling war da-
mals eben geadelt worden, ich fand also keinen Grund, seine
Einladung abzulehnen. Während des Cotillons saß Döcke
neben dem Fräulein von Liebel auf einem Sofa. Döcke war
nicht cngagirt, wurde aber häufig von Damcu gewählt. Als
er nun einmal seine Tour geendigt hatte, ließ er sich mit
aller Wucht seiner starken Figur auf das Sofa zurückfallen,
welches natürlich mit Stahlfedern versehen war. Die Wirkung
war die, daß das Fräulein von Liebel wenigstens zwei Fuß,
sage ich Ihnen, in die Luft geschnellt wurde, und den Grau-
pcuschleim, den sie eben schlürfte, über ihr Kleid vergoß. Sie
stieß dabei einen Schrei aus, ungefähr so stark, wie der
Schmerzensschrei Jtalichcns, so, daß sich Alles fragte, was
geschehen sei. Ich brauche nicht zu sagen, daß die ganze
Welt über diesen Bauernfähnrich entrüstet war. Er aber,
er nahm das Ding auf die leichte Achsel, und lehnte unsere
Aufforderung, sich bei der Dame zu entschuldigen, lachend
und scherzend ab. Ich überlaste cs nun Ihrem Feingefühle,
meine Herrn, zu beurtheilcu, ob unsere Arniec einen Offizier
brauchen kann, welcher hochstehende Damen gewissermaßen
fuchsprellt, und sie dann nicht einmal um Verzeihung bittet."
Hauptmann (lächelnd): „Meine Herren, eine solche
Gesinnung ist die sicherste Bürgschaft, daß Deutschland das
linke Rhcinufer nicht verlieren kann."
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Eine Offizierswahl"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 36.1862, Nr. 867, S. 55
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg