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Grobe Höflichkeit.
„Schau, schau! Das reizende Füßerl hätt' ich Ihnen gar
nicht zugetraut!"
Johannes Jeremias Jammermann und sein
Heirat hsan trag.
Eine merkwürdige Geschichte ohne „8" Don Victor Nibbcrg.
Der Advokatenschreiber Johannes Jeremias Jammermann
war ein junger Mensch von großer Tugend; seit dem Tage,
an dem er aus dem Gymnasium geschieden tDar, hatte er nie
daran gedacht, etwas zu thun, was sich mit den strengsten
Geboten des Sittcngesetzes nicht vertrug.
Er kam an jedem Tage mit Verbrechen jeder Art in Be-
rührung. aber sein Herz war trotz dieser sumpfigen Atmosphäre
rein von Sünde.
Man hätte demnach denken können, dieses friedensreiche
Dasein müsse den Schreiber auf die höchste Stufe des geistigen
Genusses gehoben haben; aber dennoch empfand er den Jammer
des Daseins, denn er vermißte von seiner Kindheit an ein
theures Gut. dessen Nichtvorhandensein — so merkwürdig es
tönen mag — trotz der geringen Größe dieses Gutes, unserem
Jammermann fast den tiefsten Jammer bereitet hätte.
Es gab einen Buchstaben des ABC's — wozu der grie-
Johannes Jeremias Jammermann und sein Heiraths-
antrag.
chischen Sprache ihre Worte rauben, wenn der deutsche Sprach-
schatz an kernigen Bezeichnungen reich genug ist? — den Jeremias
haßte, wie die Todsünde. Dieser Buchstabe >var sein bitterster
Feind, da er von jeher sich hartnäckig weigerte, von dem frommen
Jünger der Themis ausgesprochen zu werden. Und dieser Buch-
stabe war so wichtig! Dieser Buchstabe war so über jedes Maß
hinaus häufig; es gab fast keinen Satz, aus dem er nicht
den ehrbaren Jammermann angrinste.
Er bekämpfte daher diesen verdammten Buchstaben bis auf
das — furchtbare Naß unseres Körpers, das die Menschenfresser
mit Behagen trinken und aus dem die kundige Hausfrau, stammt
es vom Schwein oder von der Gans, schmackhafte Speisen bereitet.
Er hatte es verstanden, diesen Buchstaben fast ganz aus
seinem Dasein auszumerzen; er vermied ihn auf das Sorgbarste,
da er wußte, daß es zu einem Kampfe seiner Kinnbacken kam.
wenn er diesen Buchstaben aussprechen mußte, und daß in
diesem Kampfe er. der tugendhafte und gottesfürchtige Schreiber
Jeremias Jammermann, stets der Besiegte war.
Und es ging so weit ganz gut — bis zu einem Momente
seines Daseins, der ihm zuerst den ganzen Jammer, die ganze
Tragik der Thatsachcn zum Bewußtsein brachte.
Er hatte ein Mädchen gern — von ganzem Herzen gern.
Er meinte oder dachte, er könne es meinen, daß auch sie ihm
nicht abgeneigt sei.
Wenigstens hatte sie ihn an einem Abend angeschaut — so
süß. so innig, daß es dem armen Jeremias ganz wehmüthig
unUs Herz wurde.
Er war im Innern überzeugt davon, daß sie ihm gut sei;
er wußte auch, daß ihm in nicht gar zu ferner Zeit der Preis
seines Strebens — eine Ernennung zum Bureauvorsteher —
winke, aber wie konnte er ihr sagen, daß er sie zu freien be-
gehre. ohne diesen Buchstaben, der ihm dazu nöthig war, wie
der Aether zum Athnien?
Geraume Zeit dachte er hin und her! zu schreiben — in
einen Brief das Feuer seines Herzens zu zwängen, vermochte
er nicht; er mußte sprechen — ach und er konnte es nicht.
Und dazu kam. daß sein verzagtes Zögern der Schönen
einen Verdacht eingab, der gar nicht begründet war; sie dachte
in der That bereits, daß sie zu arm sei für den Mann mit
dem erwarteten Bureauvorsteherposten, daß er, in kurzer Zeit
ein Herr in Amt und Würden, die arme Waise nicht mehr
zum Weibe begehre.
O. wie sehr täuschte sie sich in dem armen Jeremias!
Einige Tage der Schmerzen und der Sehnsucht vergingen;
da faßte sich an einem Abende Jeremias ein Herz, zierte den
Körper mit dem schwarzen Rock und das Haupt mit dem Zeichen
der Ehrbarkeit — jenem Stück, das die Gassenjugend in argem
Spott Angströhre benamset — und schritt durch die Straßen
nach dem Häuschen vor dem Thor, in dem die Angebetete bei
einem entfernten Verwandten wohnte.
Er traf sie im Garten, duftende Reseden begießend.
Zitternd ergriff er ihre Hand und sagte schüchtern: „Gertrud!"
Grobe Höflichkeit.
„Schau, schau! Das reizende Füßerl hätt' ich Ihnen gar
nicht zugetraut!"
Johannes Jeremias Jammermann und sein
Heirat hsan trag.
Eine merkwürdige Geschichte ohne „8" Don Victor Nibbcrg.
Der Advokatenschreiber Johannes Jeremias Jammermann
war ein junger Mensch von großer Tugend; seit dem Tage,
an dem er aus dem Gymnasium geschieden tDar, hatte er nie
daran gedacht, etwas zu thun, was sich mit den strengsten
Geboten des Sittcngesetzes nicht vertrug.
Er kam an jedem Tage mit Verbrechen jeder Art in Be-
rührung. aber sein Herz war trotz dieser sumpfigen Atmosphäre
rein von Sünde.
Man hätte demnach denken können, dieses friedensreiche
Dasein müsse den Schreiber auf die höchste Stufe des geistigen
Genusses gehoben haben; aber dennoch empfand er den Jammer
des Daseins, denn er vermißte von seiner Kindheit an ein
theures Gut. dessen Nichtvorhandensein — so merkwürdig es
tönen mag — trotz der geringen Größe dieses Gutes, unserem
Jammermann fast den tiefsten Jammer bereitet hätte.
Es gab einen Buchstaben des ABC's — wozu der grie-
Johannes Jeremias Jammermann und sein Heiraths-
antrag.
chischen Sprache ihre Worte rauben, wenn der deutsche Sprach-
schatz an kernigen Bezeichnungen reich genug ist? — den Jeremias
haßte, wie die Todsünde. Dieser Buchstabe >var sein bitterster
Feind, da er von jeher sich hartnäckig weigerte, von dem frommen
Jünger der Themis ausgesprochen zu werden. Und dieser Buch-
stabe war so wichtig! Dieser Buchstabe war so über jedes Maß
hinaus häufig; es gab fast keinen Satz, aus dem er nicht
den ehrbaren Jammermann angrinste.
Er bekämpfte daher diesen verdammten Buchstaben bis auf
das — furchtbare Naß unseres Körpers, das die Menschenfresser
mit Behagen trinken und aus dem die kundige Hausfrau, stammt
es vom Schwein oder von der Gans, schmackhafte Speisen bereitet.
Er hatte es verstanden, diesen Buchstaben fast ganz aus
seinem Dasein auszumerzen; er vermied ihn auf das Sorgbarste,
da er wußte, daß es zu einem Kampfe seiner Kinnbacken kam.
wenn er diesen Buchstaben aussprechen mußte, und daß in
diesem Kampfe er. der tugendhafte und gottesfürchtige Schreiber
Jeremias Jammermann, stets der Besiegte war.
Und es ging so weit ganz gut — bis zu einem Momente
seines Daseins, der ihm zuerst den ganzen Jammer, die ganze
Tragik der Thatsachcn zum Bewußtsein brachte.
Er hatte ein Mädchen gern — von ganzem Herzen gern.
Er meinte oder dachte, er könne es meinen, daß auch sie ihm
nicht abgeneigt sei.
Wenigstens hatte sie ihn an einem Abend angeschaut — so
süß. so innig, daß es dem armen Jeremias ganz wehmüthig
unUs Herz wurde.
Er war im Innern überzeugt davon, daß sie ihm gut sei;
er wußte auch, daß ihm in nicht gar zu ferner Zeit der Preis
seines Strebens — eine Ernennung zum Bureauvorsteher —
winke, aber wie konnte er ihr sagen, daß er sie zu freien be-
gehre. ohne diesen Buchstaben, der ihm dazu nöthig war, wie
der Aether zum Athnien?
Geraume Zeit dachte er hin und her! zu schreiben — in
einen Brief das Feuer seines Herzens zu zwängen, vermochte
er nicht; er mußte sprechen — ach und er konnte es nicht.
Und dazu kam. daß sein verzagtes Zögern der Schönen
einen Verdacht eingab, der gar nicht begründet war; sie dachte
in der That bereits, daß sie zu arm sei für den Mann mit
dem erwarteten Bureauvorsteherposten, daß er, in kurzer Zeit
ein Herr in Amt und Würden, die arme Waise nicht mehr
zum Weibe begehre.
O. wie sehr täuschte sie sich in dem armen Jeremias!
Einige Tage der Schmerzen und der Sehnsucht vergingen;
da faßte sich an einem Abende Jeremias ein Herz, zierte den
Körper mit dem schwarzen Rock und das Haupt mit dem Zeichen
der Ehrbarkeit — jenem Stück, das die Gassenjugend in argem
Spott Angströhre benamset — und schritt durch die Straßen
nach dem Häuschen vor dem Thor, in dem die Angebetete bei
einem entfernten Verwandten wohnte.
Er traf sie im Garten, duftende Reseden begießend.
Zitternd ergriff er ihre Hand und sagte schüchtern: „Gertrud!"
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Grobe Höflichkeit"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)