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Das Rathaus in Duderstadt — Forschungen der Denkmalpflege in Niedersachsen, Band 6: Hameln: Verlag CW Niemeyer, 1989

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https://doi.org/10.11588/diglit.57465#0026
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ULRICH HUSSONG

im Rath daselbst sitzen, und ohne sein oder in sei-
nem Abwesen seines Befehlshabers beisein oder
wissen kein Rath gehalten, auch nichts gerathschla-
get oder behandelt werden solle; es solle nun auch
hinfuehro alle Verschreibungen und Missive in un-
sers Schultheisen und Raths Namen ausgeben und
geschrieben werden.“164) Nicht mehr der Bürger-
meister, sondern der Schultheiß sollte an der Spitze
der städtischen Verwaltung stehen und diese Rang-
ordnung auch in den nach außen gehenden Schrei-
ben dokumentiert werden, wie denn auch in den
drei folgenden Jahrhunderten die stereotype For-
mel lautet „Schultheiß, Bürgermeister und Rat..
Sodann wurde angeordnet, daß jeder neugewählte
Rat dem Schultheißen als dem Vertreter des Erzbi-
schofs den Treueid leisten müsse.165) Er allein ist be-
rechtigt, Geleit zu geben, ohne seine Einwilligung
darf keine Person aus dem Gefängnis entlassen wer-
den166-1 — sosehr der Schultheiß mainzischer Beamter
und nicht Teil der städtischen Selbstverwaltung
war, so bemühte sich doch der Landesherr, klarzu-
stellen, daß der Schultheiß nicht bloß in seinem Na-
men handelte, „sondern auch des Rats und gemei-
ner Stadt Recht und Gerechtigkeit zu vertreten Be-
fehl haben sollte“, wie Barckefeldt ein entsprechen-
des Schreiben von 1578 zusammenfaßt.167)
Unter den übrigen Punkten sind erwähnenswert:
die Wiederholung des an die Ratsherren und -die-
ner gerichteten Verbotes, „unnotdürftige und über-
meßige Zehrungen“ zu veranstalten. Viermänner,
Gilden und Handwerker werden in diese Vorschrift
mit einbezogen.168) Die von Schultheiß und Rat ge-
wählten Viermänner, die Einnahmen und Ausga-
ben überwachen, sollen die Rechnungslegung im
Beisein des Amtmannes des Eichsfeldes oder seines
Stellvertreters, des Schultheißen und beider Räte
vornehmen. Die Aufhebung der Gilden dauert
fort, allerdings werden je Handwerk zwei Vertreter
für gewisse Aufsichtsaufgaben ausgewählt.169-1 Das
Versammlungsverbot für Bürger und Einwohner
eines jeden Gewerbes wird eingeschärft.170) Bestim-
mungen über den Schoß, die Aufnahme in die Bür-
gerschaft, die Aufforderung, einen Stadthaupt-
mann zu bestellen, und die Mahnung, Schultheiß
und Rat bei Regierung und Verwaltung gewähren
zu lassen, sich im Beschwerdefalle aber an den
Amtmann des Eichsfeldes zu wenden, runden die
Ordnung ab.171-1 Bürgermeister Barckefeldt hat 1683
die Albertinische Ordnung völlig zu Recht als
„Fundamentalgesetz und Erhaltungsmittel dieser
Stadt“ bezeichnet.172) Sie bestimmte die Geschicke
der Stadt in den folgenden knapp drei Jahrhunder-
ten bis zur Auflösung des Kurfürstentums Mainz.
Längst nachdem der wirtschaftliche Niedergang
eingesetzt hatte, folgte auch der politische; „die
frühere Selbstherrlichkeit der Stadt (ging) ihrem
Ende entgegen“ (Jäger).173-1

Die Albertinische Ordnung veränderte neben
der politischen auch die Gerichtsverfassung der
Stadt. In allen drei Gerichten, die sich seit dem Mit-
telalter auf dem Stadtgebiet befanden — dem Rat als
Gerichtsversammlung, dem kurfürstlichen Stadt-
gericht und dem Gericht vor dem Westertor — am-
tierte er als Vorsitzender.174-1 Beim kurfürstlichen
Stadtgericht wurde gegenüber dem Mittelalter die
Zahl der Schöffen verringert (nicht mehr der ge-
samte Rat, sondern nur noch acht Ratsherren).I75)
Das Ratsgericht hatte infolge der Ausdehnung sei-
ner Befugnisse im Spätmittelalter die Kriminalge-
richtsbarkeit an sich gezogen, wie es auch Aufgabe
des Rates war, Voruntersuchungen anzustellen, die
Inhaftierung und Folterung der Delinquenten an-
zuordnen und zu überwachen und das Urteil voll-
strecken zu lassen.176)
Zum Sprengel des Westergerichts gehörten nicht
nur die elf der Stadt verbliebenen Dörfer (die fünf 6
Kespeldörfer zählten zum Gericht Bernshausen im
Amt Gieboldehausen)177), sondern auch die sechs
Dörfer des Westernhagenschen Gerichtsbezirks,
das Knorrsche Dorf Neuendorf und das zum Ge-
richt des Klosters Teistungenburg gehörende Dorf
Böseckendorf.178) In seiner sachlichen Zuständig-
keit verblieben (es stand ja in Konkurrenz zum
Ratsgericht) alle Vergehen und Verbrechen, die auf
der Straße verübt wurden.179) Zu den erst vier, spä-
ter zwei angesetzten Gerichtsterminen pro Jahr
mußte aus jedem Haus des Gerichtsbezirks minde-
stens eine Person erscheinen. Das Urteil fällten
wohl Schöffen, nicht mehr die Teilnehmer der Ver-
handlungen insgesamt. Über die Auswahl der
Schöffen ist nichts bekannt.180) Da auf den Termi-
nen auch Beschwerden vorgebracht und Verstöße
gerügt wurden, wurde das Westergericht zu den
Hoch- und Rügegerichten gezählt.181) Von seinem
angestammten Ort unter den Linden vor dem
Westertor wurde das Westergericht zu unbekanntem 4
Zeitpunkt, aber vor 1752, in das Stadthaus des ehe-
maligen Klosters Pöhlde — seit Ende des 16. Jahr-
hunderts Sitz des Stadtschultheißen —182) ver-
legt.183)
Erwähnt werden soll an dieser Stelle noch die
kirchliche Gerichtsbarkeit, die sich nicht bloß auf
Geistliche erstreckte, sondern auch — zumindest
dem Anspruch nach — auf Arme, Reisende und
Kaufleute und von ihrer sachlichen Zuständigkeit
her auf Eheangelegenheiten, Testaments- und Erb-
schaftssachen und alle durch Eid bekräftigten Ver-
fahren. Geistlicher Richter war der erzbischöfliche
Kommissarius in Heiligenstadt, der seinen Sitz
zeitweilig nach Duderstadt verlegte.
Berufungsinstanz für alle weltlichen Gerichte
des Eichsfeldes war seit den Gerichtsreformen des
Kurstaats in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts
das Gericht bei der Regierung des Eichsfelds in
Heiligenstadt (seit 1540 mit der Bezeichnung Ober-

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