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Das Rathaus in Duderstadt — Forschungen der Denkmalpflege in Niedersachsen, Band 6: Hameln: Verlag CW Niemeyer, 1989

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https://doi.org/10.11588/diglit.57465#0028
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ULRICH HUSSONG

Ratswahlen
Wie oben erwähnt, hat sich der Rat als Gremium
der städtischen Selbstverwaltung schon früh kon-
stituiert.205' Die bereits 1273 genannte Zwölfzahl
seiner Mitglieder blieb konstant, solange über-
haupt die Ratsverfassung Bestand hatte. In den Sta-
tuten von 1434 wird erstmals zwischen altem und
neuem Rat unterschieden206-1, 143 8 ist die Rede vom
,sitzenden Rat'207', d.h. es hat die Übung gegolten,
zwei je zwölfköpfigen Ratsgremien im jährlichen
Wechsel das Stadtregiment zu übertragen. Bei be-
sonders wichtigen und zukunftsweisenden Ent-
scheidungen tagte nicht nur der jeweils amtierende,
also ,neue‘ oder ,sitzende' Rat, sondern auch der
,alte‘ Rat wurde hinzugezogen.208-1 Als im 15. Jahr-
hundert die Gilden gegenüber dem Rat immer
mehr an Bedeutung gewannen, wurden in einigen
Fällen zusätzlich die Gildemeister in Beschlüsse
mit eingebunden.209'
Über das Verfahren der Ratswahl ist aus dem
Mittelalter nichts bekannt. Erst unter dem 16. März
1596 berichtete der Schultheiß Johann Hennicke
nach Heiligenstadt, weil der Oberamtmann des
Eichsfeldes ihn um eine Darstellung der bei der
Ratswahl üblichen Gebräuche gebeten hatte.210'
Amtierender Bürgermeister und Rat, so schildert
Hennicke, versammeln sich jedes Jahr am Sonntag
nach Michaelis (29. September) um fünf Uhr
abends auf dem Rathaus „in der ratstuben“. Sie bit-
ten den Schultheißen hinzu, um dann gemeinsam
ein Mahl einzunehmen. Nach dessen Beendigung
werden „knecht und diener“ hinausgewiesen, die
Türen verschlossen, und die Wahl kann beginnen.
Zunächst erinnert der Schultheiß in einer kleinen
Ansprache an das Vorhaben, „das von unsern lieben
vorfarn seligem loplich und wol herpracht“ wor-
den ist, in der Nacht „einen neuen burgermeister
und rat“ und für verstorbene Ratsmitglieder andere
Personen an ihrer Statt zu erwählen, „wie es dan
von jaren zu jaren also auch were gehalten wor-
den“. Er ermahnt, „aid und pflicht“ zu bedenken
und Gott um die Gnade zu bitten, daß „erliche vor-
stendige leut zum regiment mochten werden erwe-
let“. Anschließend schlagen Schultheiß und abtre-
tender Bürgermeister geeignete Personen vor für
das Amt des Bürgermeisters und der übrigen Mit-
glieder des Rates. Nach der Abstimmung werden
aus dem neugewählten Rat zwei Kämmerer er-
nannt und alle Anwesenden durch Eid verpflichtet,
die Wahl bis zum nächsten Morgen geheim zu hal-
ten und sich zu überlegen, ob sie „zu pleiben, zu
bessern oder zu endern sein mochte“.
Montag früh tritt der gleiche Kreis erneut zusam-
men, wiederholt die Abstimmung und läßt — so-
fern die Wahl gleich und einhellig ausgefallen ist —
das Ergebnis unter Glockengeläut den Bürgern
vom Rathaus öffentlich verkünden und vorlesen.

Der alte Rat beglückwünscht namens der beiden
alten Kämmerer den neuen Rat in der Weinstube,
worauf der abtretende Rat die neu Erwählten „aufs
rathaus (den tantzboden)“ führt.211' Dort wird ein
Altar aufgerichtet, mit einem grünen Tuch bedeckt
und darauf ein „verslossenes kistlein“ gelegt, in
dem angeblich Reliquien ruhen. Vor diesen Altar
müssen angehender Bürgermeister und Rat treten
und den vom Schultheißen unter Verweis auf die
Albertinische Ordnung vorgesprochenen Eid auf
den Erzbischof von Mainz wiederholen. Sodann
führen Schultheiß und alter Rat den neuen Rat
in die Ratsstube, wo einhellig zwei neue Vier-
männer gewählt werden, „zur einnahme und aus-
gabe gemeiner Stadt gefelle, einkomen und rente“.
Nach' Beendigung des offiziellen Teils werden die
Trommeln geschlagen und alles geht zu Tisch. Die
neu erwählten zwei Viermänner sind ebenso einge-
laden wie alle Ratsdiener, als welche Hennicke
„Stadt- und cammerschreiber, arbeitet,.. . reitende
dienere, marktmeister, Stadtknecht, procurato-
res212', weinschenk, küpfer- und grobschmidt, zim-
merleut, wal- und Wachtmeister, die boten etc.“
aufzählt. An sieben Tischen speist man in der Rats-
stube, solange die Küche noch etwas hergibt.
Amtsantritt des neuen Rates ist Freitag nach Gal-
lus (16. Oktober). Es werden die Schlüssel überge-
ben und die beiden Viermänner vereidigt wie auch
die „Schreiber, diener, knecht und alles gesinde“.
Hennicke betont in seinem Bericht, daß das von
ihm geschilderte Verfahren „von ohndenklichen
jaren herpracht“ worden sei, und so ist anzuneh-
men, daß das Verfahren der Ratswahl wohl so oder
in ganz ähnlicher Form seit der Einführung der
Albertinischen Ordnung beobachtet worden ist.
Abgesehen von der Person des Schultheißen trifft
dies vermutlich auch auf das Spätmittelalter zu.
Allerdings vermerkt der Stadtschreiber Kurd Wi-
chenand zum Jahre 1476, daß der neue Bürgermei-
ster seinen Eid auf die Stadt leistete „up den market
na wyse unde wonheyt der stat“213', also auf dem
Gropenmarkt und nicht im Rathaus. Andererseits
ist schon 1379 der neue Rat an Michaelis eingesetzt
worden.214'
Die von Hennicke geschilderte Procedur mit der
zweifachen Wahl am Sonntagabend und Montag-
morgen und den Maßnahmen der Geheimhaltung
— Hinausweisung von Knechten und Dienern, Ver-
schließen der Türen — erweckt den Eindruck, als
habe es sich um eine freie und geheime Wahl gehan-
delt. Tatsächlich wählte jedes der beiden Ratsgre-
mien im jährlichen Wechsel das jeweils andere, so
daß im Ergebnis 24 Personen den Rat bildeten und
die Mitgliedschaft auf Lebenszeit währte. Eine
Wahl im eigentlichen Sinne stand nur dann an,
wenn ein Ratsherr verstorben war.215' In der Alber-
tinischen Ordnung von 1526 schreibt der Erzbi-
schof von Mainz denn auch, daß „in unser Stadt

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