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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 4,1.1924

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Strindberg, August; Schering, Emil [Hrsg.]: Strindberg nach sechzig Jahren
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https://doi.org/10.11588/diglit.42396#0032
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versteinert; aber auch darüber bestürzt, daß man wegen einiger Pflaumen so streng
sein konnte.
Die Nebenumstände waren in Kürze diese. Wir wohnten im Vorort auf einem Hof,
dessen Felder sich weit erstreckten und aus Tabakpflanzungen und Weidegründen be-
standen. Ziemlich entfernt vom Hause lag ein Pflaumengarten, der dem Nachbar ge-
hörte und an unsern Zaun stieß: die schönen Bäume ließen ihre Zweige in unser
Grundstück hängen. Der Nachbar war ein alter Mann, der keine Kinder hatte und
seinen Pflaumengarten nie besuchte, sondern die gelben Früchte liegen ließ, wohin sie
fielen; vielleicht aus Furcht vor der Cholera, die 18,04 gewütet hatte; damals waren
die Pflaumen in Verruf gekommen und auf dem Stockholmer Markt verboten worden.
Die Bäume streckten also die Zweige über den Zaun, und die Pflaumen fielen in unseren
Garten. Wir begannen damit, daß wir sie vom Boden auflasen, gingen aber bald zum
Baum über, offen und unverhohlen, da sich niemand darum kümmerte. Das Entsetzen
meiner Mutter verstehe ich jetzt: wenn wir zufällig einen kleinlichen Besitzer getroffen
hätten, wären wir mit der Polizei in Berührung gekommen.
Als ich später als zwanzigjähriger Student (jetzt mit 60 Jahren kann ich ja davon sprechen)
wieder in diesen Hof zog, fand ich gerade diesen Pflaumenbaum verdorrt, die andern
nicht. Das machte einen lebhaften, aber unheimlichen Eindruck auf mich: ich dachte
an den Feigenbaum, den Christus verfluchte.
Die stärksten Eindrücke meiner Kindheit sind natürlich der Tod meiner Mutter und
das Auftreten der Stiefmutter, ehe das Trauerjahr zu Ende ging. Das war unbeschreib-
lich! Meine Mutter hatte mich nicht geliebt, sie hatte andere Lieblinge unter den
Kindern, aber ich betrauerte sie, hatte das Gefühl, als habe ich nach ihrem Hingange
aufgehört, mit Vater und Geschwistern verwandt zu sein, ja, als sei ich dem ganzen
Menschengeschlecht fremd geworden. Meinen Vater empfand ich immer als feindliche
Macht, und er konnte mich auch nicht leiden! Es war nicht angenehm, jung zu sein!
Genug davon!

Zweite Frage
Wie kam es, daß Sie die dramatische Form für Ihr Debüt wühlten?
Als Jüngling hatte ich vergebens Verse zu schreiben versucht; ging zum Theater, um
Schauspieler zu werden; fiel durch bei der Probe, nahm Opium, um mir das Leben zu
nehmen; ward aber auf meinem Sofa lebend aufgefunden (das Opium wirkte nicht
auf mich) und zum Zechen mitgeschleppt. Am nächsten Tage hatte ich ein eigentüm-
liches Fieber, und in wenigen Pagen hatte ich ein Stück in zwei Akten geschrieben.
Im Laufe einiger Monate schrieb ich ein Prosastück in drei, ein Versstück in fünf
Akten („Hermione“) und begann ein großes Drama über Christus, das ich jedoch nicht
vollendete, sondern verbrannte.
 
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