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56 Silenstorso London, British Museum 1257
(Typus „Kista- bzw. Liknophoros“) Taf. 37
Odeion, in einer der Durchgänge der Bühnenwand in der Nähe der Mitteltür; 1864
Grobkörniger weißer Marmor, gelbliche Patina, stellenweise grau verfärbt
H des Torsos 0,84 m. H der Stütze ca. 0,62 m
Es fehlen der Kopf bis auf die Bartlocken auf der Brust, beide Arme bis auf die Ansätze
der Oberarme, beide Unterschenkel, der unterste Teil der Stütze. Ansatz des r. Ober-
armes und Zipfel des Lendenschurzes wieder angepaßt. Ansatz in 1. Achsel verbrochen.
Bartlocken z. T. verbrochen, ansonsten Bestoßungen. Nackte Teile geglättet, großer
Nabel gebohrt.
Frühantoninisch
Mitte des 2. Jh.s n. Chr.
Wood 50 f. mit Abb. — Reinach, RSt II 53,3. — BMC Smith, Sculpture II 1257. —
R. Meinel, Das Odeion, Europ. Hochschulschriften Reihe 28, 11 (1980) 129.
Dieser Silenstorso läßt sich auf den Typus eines „Silen Kista- bzw. Liknophoros“
zurückführen, der in späthellenistischer Zeit im Umfeld der dionysischen Ikonographie
aufkam und Verbreitung in den verschiedensten Kunstgattungen fand1. Vielfach wurde
dieser Typus auch als Stützfigur verwendet, sowohl im Bereich der Kleinkunst als auch
in architektonischem Rahmen2. Zänker vermutet wegen des häufigen Auftretens von
Satyrn und Silenen in derartiger Funktion in griechischen Theatern auch den hellenisti-
schen Vorläufer unseres Silenstypus in diesem Bereich3. Die bekanntesten großplasti-
schen Vertreter dieses Silenstypus sind die beiden gebälktragenden Silene vom Kano-
pos der Villa Adriana, als Pendants gearbeitet, die einen Früchtekorb mit beiden Hän-
den stützen4. Dazu kommen der Liknophoros in Petworth House5 und das Pfeilerfrag-
ment mit einem Korbträger im Kunsthandel6. Dagegen reckt unser Silen nur den Ansatz
des muskulösen rechten Oberarmes hoch, sein linker leicht zurückgenommener Oberarm
liegt jedoch eng an. In der linken Achsel hat sich der Rest eines Ansatzes erhalten, des-
sen Bruchfläche nach vorne weist; Hinweis auf ein Attribut in der Linken? Die Stützung
des Korbes oder Liknon mit nur einer Hand ist unter den verschiedenen Darstellungen
des Typus in anderen Kunstgattungen geläufig7. Typisch ist der schwere Stand unseres
Silen — hier mit vorgeschobenem linken Bein — und der Schurz, der hier wie bei den
Silenen der Villa Adriana vorne verknotet ist; der Zipfel fällt abtreppend herab8. Der
Rumpf mit den breiten Hüften und dem fülligen Bauch, an dem eine Falte angegeben ist,
ist gerade aufgerichtet, der Torso unbehaart9. Vom Kopf unseres Silens haben sich nur
mehr die dichten langen Bartlocken auf der Brust erhalten, die an den anderen großpla-
stischen Vertretern des Typus (an fast allen ist der Kopf zur Gänze erhalten) üppiger
ausgeführt sind. Auffällig ist die Stütze unserer Statue gestaltet: Über einem Dreifuß
erhebt sich ein bauchiges Gefäß, das von einem kleinen flachen Korb bekrönt ist. Dieser
ähnelt mit seinem vorne niedrig gebildeten Rand einem Liknon. Darin liegt, in Flachre-
lief wiedergegeben, ein Phallos unter einer Mondsichel — ein Motiv, das uns in Form von
Amuletten bekannt ist10. Was den Dreifuß betrifft, so hat dieser ja auch im dionysischen
Bereich seinen Platz; er könnte hier auch ein Hinweis auf die im Odeion abgehaltenen
musischen Agone sein (falls dies nicht eine Überinterpretation ist)11. Zum Bühnenwand-
schmuck dieses Odeions gehörte unser Silen offensichtlich. Dieses entstand Mitte des
2. Jh.s n. Chr. durch Umbau des bereits seit der frühen Kaiserzeit bestehenden Bouleu-
56 Silenstorso London, British Museum 1257
(Typus „Kista- bzw. Liknophoros“) Taf. 37
Odeion, in einer der Durchgänge der Bühnenwand in der Nähe der Mitteltür; 1864
Grobkörniger weißer Marmor, gelbliche Patina, stellenweise grau verfärbt
H des Torsos 0,84 m. H der Stütze ca. 0,62 m
Es fehlen der Kopf bis auf die Bartlocken auf der Brust, beide Arme bis auf die Ansätze
der Oberarme, beide Unterschenkel, der unterste Teil der Stütze. Ansatz des r. Ober-
armes und Zipfel des Lendenschurzes wieder angepaßt. Ansatz in 1. Achsel verbrochen.
Bartlocken z. T. verbrochen, ansonsten Bestoßungen. Nackte Teile geglättet, großer
Nabel gebohrt.
Frühantoninisch
Mitte des 2. Jh.s n. Chr.
Wood 50 f. mit Abb. — Reinach, RSt II 53,3. — BMC Smith, Sculpture II 1257. —
R. Meinel, Das Odeion, Europ. Hochschulschriften Reihe 28, 11 (1980) 129.
Dieser Silenstorso läßt sich auf den Typus eines „Silen Kista- bzw. Liknophoros“
zurückführen, der in späthellenistischer Zeit im Umfeld der dionysischen Ikonographie
aufkam und Verbreitung in den verschiedensten Kunstgattungen fand1. Vielfach wurde
dieser Typus auch als Stützfigur verwendet, sowohl im Bereich der Kleinkunst als auch
in architektonischem Rahmen2. Zänker vermutet wegen des häufigen Auftretens von
Satyrn und Silenen in derartiger Funktion in griechischen Theatern auch den hellenisti-
schen Vorläufer unseres Silenstypus in diesem Bereich3. Die bekanntesten großplasti-
schen Vertreter dieses Silenstypus sind die beiden gebälktragenden Silene vom Kano-
pos der Villa Adriana, als Pendants gearbeitet, die einen Früchtekorb mit beiden Hän-
den stützen4. Dazu kommen der Liknophoros in Petworth House5 und das Pfeilerfrag-
ment mit einem Korbträger im Kunsthandel6. Dagegen reckt unser Silen nur den Ansatz
des muskulösen rechten Oberarmes hoch, sein linker leicht zurückgenommener Oberarm
liegt jedoch eng an. In der linken Achsel hat sich der Rest eines Ansatzes erhalten, des-
sen Bruchfläche nach vorne weist; Hinweis auf ein Attribut in der Linken? Die Stützung
des Korbes oder Liknon mit nur einer Hand ist unter den verschiedenen Darstellungen
des Typus in anderen Kunstgattungen geläufig7. Typisch ist der schwere Stand unseres
Silen — hier mit vorgeschobenem linken Bein — und der Schurz, der hier wie bei den
Silenen der Villa Adriana vorne verknotet ist; der Zipfel fällt abtreppend herab8. Der
Rumpf mit den breiten Hüften und dem fülligen Bauch, an dem eine Falte angegeben ist,
ist gerade aufgerichtet, der Torso unbehaart9. Vom Kopf unseres Silens haben sich nur
mehr die dichten langen Bartlocken auf der Brust erhalten, die an den anderen großpla-
stischen Vertretern des Typus (an fast allen ist der Kopf zur Gänze erhalten) üppiger
ausgeführt sind. Auffällig ist die Stütze unserer Statue gestaltet: Über einem Dreifuß
erhebt sich ein bauchiges Gefäß, das von einem kleinen flachen Korb bekrönt ist. Dieser
ähnelt mit seinem vorne niedrig gebildeten Rand einem Liknon. Darin liegt, in Flachre-
lief wiedergegeben, ein Phallos unter einer Mondsichel — ein Motiv, das uns in Form von
Amuletten bekannt ist10. Was den Dreifuß betrifft, so hat dieser ja auch im dionysischen
Bereich seinen Platz; er könnte hier auch ein Hinweis auf die im Odeion abgehaltenen
musischen Agone sein (falls dies nicht eine Überinterpretation ist)11. Zum Bühnenwand-
schmuck dieses Odeions gehörte unser Silen offensichtlich. Dieses entstand Mitte des
2. Jh.s n. Chr. durch Umbau des bereits seit der frühen Kaiserzeit bestehenden Bouleu-