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Bronzefunde aus dem Artemision von Ephesos

kaum ein einheitliches Interpretationsmodell finden, vielmehr müssen die einzelnen Tierarten und Darstel-
lungsweisen auch aus dem jeweiligen kultischen Kontext heraus beurteilt werden1127.
XI. 1.1 Liegender Widder (Kat. 877, Taf. 83. 118)
Die rundplastisch gebildete Figur Kat. 877 stellt einen liegenden Widder mit nach rechts zur Seite gewandtem Kopf dar. Wie eine
rechteckige Öffnung an der Unterseite erkennen lässt, ist die Statuette hohl gegossen. Die Erscheinung des Tieres wird von der
blockhaften, kompakten Gestalt und von der eher summarischen Ausformung der einzelnen Körperpartien geprägt. Auf die Dar-
stellung von Details wird weitgehend verzichtet. Die unter dem Körper angezogenen Beine haben stiftartig dünne Unterschenkel.
Die Hufe werden nur durch eine knappe Einziehung angedeutet. Eine wulstartige Erhöhung zwischen zwei Rillen bezeichnet den
Schwanz. Die Rückseite des Körpers ist nur mithilfe einer flachen Einziehung gegliedert, die den Leib zwischen den beiden
Oberschenkeln andeutet. Die Oberfläche des Körpers bleibt unverziert und ohne Angabe des Fells. Etwas detaillierter gestaltet ist
der im Vergleich zum übrigen Körper überproportional große Kopf. Die zylindrische, vorn gerade Schnauze ist vom Gesicht durch
ein Band aus kurzen Kerben zwischen zwei parallelen Ritzlinien abgesetzt. Eine Einkerbung gibt das Maul an. Die Nase ist nur
als kleine Erhebung angedeutet. Die vorquellenden Augen werden durch eine umlaufende Rille begrenzt; eine weitere kreisrunde
Rille bezeichnet den Augapfel. Über den Augen wölben sich jeweils zwei kerbverzierte, wulstartige Bögen. Die Hörner sind als
plastisch erhabene und durch fortlaufende Einkerbungen verzierte Wülste dargestellt, deren aufgebogene Enden etwas vom Kopf
abstehen.
Das Motiv des liegenden Tieres, das die Beine unter dem Körper anzieht und den Kopf zur Seite wendet, ist
sehr verbreitet. Es begegnet besonders im Orient und in der skythischen Kunst und stellt auch im westanato-
lischen Raum ein beliebtes Thema dar1128; sehr häufig kommen Darstellungen dieser Art in Lydien vor. In den
Tumuli von U§ak fanden sich neben Tierfiguren, die aus zwei getriebenen Blechschalen gefertigt sind, auch
figürliche Punzen, die ihrer Herstellung dienten1129. Eine bronzene Punze, die angeblich aus Kleinasien stammt
und in das 6. Jahrhundert v. Chr. datiert wird, zeigt die Seitenansicht eines liegenden, die Beine unter den
Körper gezogenen Widders, der nach vorn blickt1130. Das Tier ist in seiner kompakten, gerundeten Darstel-
lungsweise und der Gestaltung des Kopfes dem Widder Kat. 877 sehr ähnlich. Im Artemision selbst kamen
neben dieser Figur noch weitere liegende und mit zur Seite gedrehtem Kopf dargestellte Tierstatuetten zutage,
so etwa ein Stier, ein Widder, eine Ziege und ein Schaf aus Elfenbein sowie ein Schaf aus Gold1131. Letzteres
steht dem Bronzewidder Kat. 877 in Motiv und Stil der Darstellung sehr nahe und wird auch mit diesem
zeitlich gleichzusetzen sein.
Die genannten Vergleichsbeispiele weisen daraufhin, dass es sich bei der Statuette Kat. 877 um ein west-
anatolisches Erzeugnis des ausgehenden 7. oder wahrscheinlicher noch des beginnenden 6. Jahrhunderts
handelt.
XL 1.2 Pferd (Kat. 878, Taf. 83. 118)
Das Erscheinungsbild des Pferdchens Kat. 878 wird von massiven, gerundeten Formen bestimmt. Auf eine differenzierte Ober-
flächenmodellierung und auf Angaben von Details, wie etwa Hufe, wird weitgehend verzichtet. Die Vorder- und Hinterbeine sind
jeweils durch einen Quersteg miteinander verbunden. Der bandförmige, ungegliederte Schweif bindet in den hinteren Steg ein.
Am Hals geben ein schmaler erhabener Grat und Ritzlinien die Mähne an. Die Ohren sind als dreieckige Erhebungen dargestellt.
Eine kleine Einkerbung bezeichnet das Maul. Zwei schlecht zu erkennende Bänder, die auf der Höhe der Augen und des Maules
über das Gesicht gelegt sind, gehören wohl zum Zaumzeug. An der rechten Seite des Körpers blieb der Ansatz eines rundstabigen
Stifts erhalten, der die Statuette wahrscheinlich mit einem zweiten Pferd oder einem Gegenstand anderer Art verband. An dersel-
ben Seite bezeugt eine Bruchstelle am vorderen Quersteg, dass auch hier eine Fortsetzung oder Verbindung bestand.

1127 So auch Simon 1986, 371 f.
1128 Vgl. .1. R. Mertens, Greek bronzes in the Metropolitan Museum of Art. BMetrMus 43, 1985, 31; P. Amandry, Un motif‘scythe’
en Iran et en Grece, JNES 24. 1965, 149 ff.
1129 Özgen - Öztürk 1996, 193 ff. bes. 197 Abb. 136. 137; T. Özkan. Lydia'da Eie Geigen Bir Greco-Pers Buluntu Grubu, in: H.
Malay (Hrsg.), Erol Atalay Memorial (1991) 135 Taf. 33, 11; 34, 12; Curtis 1925, Taf. 8, 7a-c; A. P. Kozloff in: Gehrig 1983, 32
Nr. 24; vgl. auch einen Ohrring aus Sardes, der mit einer Tierfigur dieser Art verziert ist: Waldbaum 1983, 122 Nr. 719 laf. 45.
1130 B. Kaeser, Glyptothek und Antikensammlungen, MüJb 45, 1994, 210 Abb. 25b; M. Freister, Ionia and the North Pontic Area.
Archaic Metalworking, in: G. R. Tsetskhladze, (Hrsg.), The Greek Colonisation of the Black Sea Area. 121. Einzelschr. Historia
(1998) 187 Abb. 10. 12.
1131 Hogarth 1908. 163 Nr. 24. 25 Taf. 26, la. b; 5a. b; Bammer 1988a, 13. 15 Abb. 18. 20: zum Schaf aus Gold: K. Gschwantler-
V. Freiberger, Untersuchungen zur Technologie zweier Goldstatuetten aus dem Artemision von Ephesos, in: Muss 2001, 79
Abb. 10. II.
 
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