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VORWORT

« Les noces en fist-on en la salepav6e — Moult fu grande la joie deschy ä la viespree...»
So lautet eine Stelle im «Roman du Chevalier au cygne». «Li rois en sa cambre pavee se
gisoit . . . », heisst es in Philippe Mouskes Reimchronik und in den « Cent nouvelles»: <c II
respondit qu'il estoit plus aise que ceulx qui ont leurs belies chambres verrees, natties et
pav6es...»

«Chambres pavees» : fliesenbelegte Wohnräume erscheinen den mittelalterlichen
Dichtern als le comble du luxe, verkörpern ihnen den Ausdruck von Pracht und Herrlich-
keit, und haben daher auch in den Gotteshäusern früh eine Rolle gespielt.

Im XII. und XIII. Jahrhundert sehen wir bereits ganz Westeuropa mit einer herrlichen
Fliesenkeramik versehen und im Besitze einer reichen Technik. Kunstvoll weiss man har-
monische Farbencontraste und prächtige Liniengebilde zu schaffen, vertiefte und erhabene,
glasirte, eingelegte und niellirte Ornamente mit Inschriften, «Bestiaulx» und andern figuralen
Mustern zu beleben. Die romanischen Zierweisen weichen allmählig dann den gothischen.
Hierauf erscheinen mehrfarbige Glasuren und die Kunst der Re naissance hält ihren Einzug.
Mit ihr steigt und fällt die Fayence, bis diese, von Delft in neue Bahnen gelenkt, orientali-
sirende Muster, dann die Stile des XVIII. Jahrhunderts sich aneignet. Die Neuzeit, die Zeit
der Maschinen, der Dampfkraft und der mechanischen Vervielfältigung, wird eingeleitet durch
die Einführung der Farbdrucktechnik bei den Liverpool-tiles. Sie krönt sich im XIX. Jahr-
hundert durch die Erfindung der Trockenpressung und durch einen gewaltigen Aufschwung
der Fliesenkeramik, welcher sich ebenso quantitativ wie qualitativ äussert. Die alten Stile
und Techniken werden studirt und in's Practische übersetzt, dann wendet man sich den
Japanern und dem Naturalismus zu und schafft in raschem Anlauf die Vorbedingungen für
einen neuen Stil, den Stil des zwanzigsten Jahrhunderts.

Das XIX. Jahrhundert ist heute zu einer verflossenen, also zu einer historischen
Epoche geworden, und nichts berechtigt uns mehr, weder in Museen noch in Publicationen
mit dem Ende des XVIII. Jahrhunderts Halt zu machen. Ebenso interessant wie das voran-
gegangene ist auch das XIX. Sseculum mit seinen Ueberresten des achtzehnten und mit seinen
eigenen weitern, oft bizarren Ausgestaltungen, mit seinen ausserordentlichen technischen
Fortschritten, mit seinem künstlerischen Verfall, seiner künstlerischen Wiedergeburt, mit
seiner Wiederaufnahme der alten Stile und seinem Ringen und Streben nach einem « neuen »
Stil. So habe ich denn mein Werk nicht mit dem Jahre 1800 abgeschlossen, sondern, was
mir hier allein richtig schien, es bis zum Jahre 1900 fortgeführt.

Den Anstoss zu dieser Publication gaben meine Studien und Werke über mittelalter-
liche Gewebe und Zeugdrucke. So weit entfernt diese Textilien von der Fiiesenkeramik zu
 
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