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Die Fliesenkeramik Deutschlands, der Schweiz und von

Oesterreich-Ungarn.

So gross das Ländergebiet ist, welches ich in diesem Kapitel zusammenfasse, so erscheint mir doch
gemeinsame Behandlung angebracht, weil jede einzelne der im Folgenden zu besprechenden Fliesengattungen
von einem Lande in's andere hinüberspielt, weil der feste innere Zusammenhang jede scharfe Begrenzung
ausschliesst, und weil eine Trennung zu ofte Wiederholung von schon Gesagtem nöthig machen würde.

Auch in diesen Ländergebieten fällt das Auftreten der Fliesenkeramik mit dem Erscheinen des
Backsteinbaues zusammen, schiessen ihre Vertreter mit jenem urplötzlich allwärts wie Pilze aus dem Boden
hervor. Es muss indessen Erwähnung finden, dass das Princip des Bodenbelags mit Thonfliesen schon in
vormittelalterlicher Zeit in Deutschland etc. üblich war, dass man zahlreiche theils vier-, theils sechseckige
Fliesen für Boden- und Deckenbelag aus römischer Zeit kennt, und dass Strassburg und andere Römerstädte,
u. A. auch das berühmte Castell auf der Saalburg, derartige Fliesen geliefert haben, welche bereits ver-
schiedene, gepresste und « gekämmte » geometrische Muster tragen1. Auch die Bleiglasur war am Rhein zur
Römerzeit wohlbekannt, und ist auf Gefässen, Figürchen etc. von Köln, Mainz, Worms, Wiesbaden, Baden in der
Schweiz u. s. w. mehrfach vertreten. Noch aber fehlt für all' diese Errungenschaften des Alterthums die Brücke
welche zum Mittelalter hinüberleitet, noch fehlen verzierte Thonfliesen und Bleiglasuren für die Franken-, die
Carolinger- und die ältere Ottonenzeit.

Erst im XII. Jahrhundert, also für jene Zeit, wo auch in Frankreich die Fliesenkeramik beginnt, bietet
Deutschland sichere Belege, dass damals jene Kunst auch hier Boden gefasst hat. Es ist vielleicht nicht ohne
Bedeutung, dass da in erster Linie das Frankreich benachbarte Elsass den Reigen eröffnet. Gerade hier befand
sich damals die Kunst in ihrer Blüthezeit. Die technischen Künste nahmen dort grossen Aufschwung, damals
wurden die schönsten Theile des Strassburger Münsters begründet, die Skulptur war im Begriffe, die höchste
Höhe zu erreichen, und auf dem Odilienberge entstand Herrad's von Landaberg prächtiger Bildercodex, der
Horlus deliciarum. Eben dieser Zeit entstammen im Elsass mehrere der interessantesten romanischen Kirchen,
darunter auch die St. Fideskirche in Schlettstadt, mit welcher wir uns sofort näher beschäftigen werden.

Bevor ich nun auf die ersten Originalfliesen eingehe, muss ich hier der Darstellung einer aus figuralen
Fliesen gebildeten Wandverkleidung im ebenerwähnten «Hortus deliciarum» der Herrad von Landsberg
gedenken. Dieser berühmte, zwischen njf und 1180 auf dem Odilienkloster entstandene (1870 verbrannte, aber
in Copieen theilweise erhalten gebliebene) Bildercodex enthielt eine Federzeichnung darstellend König Saloinon
auf seinem Throne, hinter welchem eine mit zahlreichen Figuren und Ornamenten gemusterte Wand sichtbar
ist (vgl. Fig. 1, Taf. I). In dem, der Neuherausgabe2 beigefügten Texte ist jener ornamentale Hintergrund
als fond de tapisserie avec ornements divers bezeichnet, doch geht aus mancherlei Merkmalen hervor, dass hier
nur an Thonfliesen zu denken ist. Wo nämlich in jenem Werke Teppichbehang angedeutet worden, ist das
deutlich theils durch Fältelung, theils durch die durchaus anders geartete Textil-Musterung, sowie d.irch
angefügte Borten und Fransen gekennzeichnet. Der Unterschied zwischen keramischem und textilem Schmuck
geht auch aus meiner Reproduction Fig. 1, Taf. I hervor, wo Salomons Thron mit unverkennbaren

1 Vgl. L. Jacobi, «Das Römercastell Saalburg», Homburg, 1897, I. p. 197 etc. II. Taf. XX.

2 Herausgegeben von der Gesellschaft zur Erhaltung der historischen Denkmäler durch die Herren Straub und Keller.
Facsimiles auch in meiner Schrift: « Der Odilienberg », Strassburg, 1899.
 
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