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Frankl, Paul
Die Glasmalereien der Wilhelmerkirche in Strassburg: Rekonstruktionen, Datierungen, Attributionen — Studien zur deutschen Kunstgeschichte, Band 320: Baden-Baden [u.a.]: Heitz, 1960

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https://doi.org/10.11588/diglit.65307#0018
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das Marienfenster in der Frauenkirche in Eßlingen gehört, auch das Mutziger Fenster im
Straßburger Frauenhaus 13. Bei letzterem ist die Rahmenform die eines tektonisch aus-
gebildeten gotischen Portals, ähnlich der Form, die den heiligen Wilhelm und das
Mülnheimwappen im Fenster II links einschließt. In der Architektur wurde die Ineinander-
schiebung von Spitzbogen und Wimperg in den Westportalen von Laon ca. 1190 eingeführt,
in den Querschiffvorhallen von Chartres, dann in Reims weiterentwickelt und an der
Sainte Chapelle in Paris (1243) auf die Rahmung der Fenster übertragen. In der Miniatur-
malerei bediente man sich dieser Rahmenform seit dem Psalter Ludwigs IX. um 1250 bis
um 1260. In der Glasmalerei wurde sie zuerst wohl in Tours um 1260 benutzt, dann im
Chorfenster der Kathedrale von Amiens 1269. Die Umwandlung der dreidimensionalen
Form in die flächige Glasmalerei bedeutete eine Reduktion des Reliefgrades und des
körperlichen Gewichts, kurz des Wirklichkeitscharakters. Mit dem Stilbegriff ausgedrückt,
den Verworn für die prähistorische Zeit geprägt hat, ist es das Ergebnis einer Tendenz
zum Ideoplastischen. Dieselbe Tendenz beherrscht die Wiedergabe der Figuren im West-
fenster der Wilhelmerkirche; sie sind hauchdünn, gewichtlos, nicht von dieser Welt, sie
sind ausgesprochen „hochgotisch“.
4. Die Glasmalereien des 15. Jahrhunderts
Im Langhaus befinden sich seit der Neuordnung von 1872 mehrere Scheiben, die Schauen-
bourg 1859 in den Chorfenstern sah. Es ist wahrscheinlich, daß sie von Anfang an für das
Langhaus bestimmt waren. Denn, so unvollständig die Erhaltung der Glasmalereien ist, sie
verraten in der Ordnung von 1872 einen so überzeugenden ikonographischen Zusammen-
hang, daß geschlossen werden darf, alle Scheiben der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts,
die wir heute im Langhaus sehen, befanden sich von Anfang an hier. Einige, die hier sein
sollten, befinden sich irrigerweise noch heute im Chor.
Jener ikonographische Zusammenhang besteht in den Südfenstern als eine Folge von Bil-
dern, die mit dem Stammbaum Jesse beginnt und mit dem Jüngsten Gericht endet; sie ist
von links nach rechts abzulesen. Auf der Nordseite lief die Folge umgekehrt von rechts
nach links. Bei der Annahme, daß das Fenster V links im 15. Jahrhundert ebenso geformt
war wie die anderen Fenster, und daß es Szenen der Apostelgeschichte enthielt, fand es
inhaltlich seine Fortsetzung im Credofenster mit dem Gnadenstuhl, der Segnung Marias
und den zwölf Aposteln. Darauf folgen die Heiligen, vertreten durch St. Wilhelm und
Katharina von Alexandrien. Mit anderen Worten: die Südseite schildert die Heilsgeschichte,
die Nordseite die Kirche als geistliche Anstalt.
Innerhalb des Rahmens dieses umfassenden Programms lassen sich, wenn auch nur hypo-
thetisch und zum Teil unvollständig, die einzelnen Fenster rekonstruieren.
Gleich das erste Fenster der Heilsgeschichte, V rechts, stellt eine Reihe von Fragen. Im
Vierpaß ist der Schmerzensmann dargestellt gewesen, Schauenbourg erwähnte ihn an dieser
Stelle unter der irrtümlichen Benennung als Ecce Homo; er hat gewiß den Schmerzensmann
gemeint. Die sechs erhaltenen Bilder unterhalb des Bogenfeldes sind von einem Rahmen-
band zusammengefaßt, das einen dünnen Stamm mit Blättern darstellt, zwischen denen je
eine Rose wächst. Der Stamm setzt sich in den beiden abschließenden Spitzbogenfeldern
unter dem Schmerzensmann fort, hat aber keine Fortsetzung an den Seiten des Mittel-
pfostens. Dadurch sind beide Fensterachsen zu einer Einheit verbunden. Der Grund in den
13 Hans Wentzel: Das Mutziger Kreuzigungsfenster und verwandte Glasmalereien der ersten Hälfte
des 14. Jahrhunderts aus dem Elsaß, der Schweiz und Siiddeutschland. (Zeitschrift für Schwei-
zerische Archhaeologie und Kunstgeschichte, Band 14, Basel 1953), 159—179. Neuerdings erschien:
Hans Wentzel: Die Glasmalereien in Schwaben von 1200—1350, Berlin 1958; es behandelt auch die
Eßlinger Fenster. Dieses Buch konnte hier noch nicht berücksichtigt werden.
 
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