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beiden Spitzbogenfeldern innerhalb der sich hier umeinanderwindenden Stämmchen ist ein
dichtes Muster von Blättern, identisch mit denen des Grundes des Schmerzensmannes im
Vierpaß darüber. Das bestärkt die Überzeugung, daß der Schmerzensmann mit diesen zwei
kleinen Bogenfeldern stets verbunden war und diese mit den Randstreifen darunter. Es be-
steht kein Grund, die sechs Bilder von diesen Randstreifen zu trennen. Sie sind nur in ihrer
Reihenfolge falsch eingesetzt worden. Zuzugeben ist, daß ikonographisch der Schmerzens-
mann zu den sechs Bildern: Geschichte von Joachim und Anna, Geburt Marias, ihr Tempel-
gang, keine einleuchtende Beziehung hat. Der formale Zusammenhang ist aber so hand-
greiflich, daß die vor wenigen Jahren vorgenommene Umstellung des Schmerzensmanns
nicht gerechtfertigt ist (siehe unten Seite 26).
Wie viele Zeilen das Fenster ursprünglich hatte, ist, wie gesagt, ungewiß, es kann anfangs
tiefer heruntergereicht haben (auch falls ein Lettner seit 1306 vorhanden war und sich bis
an die Südwand ausdehnte), es kann vielleicht erst 1485 verkürzt worden sein, als der spät-
gotische Lettner eingebaut wurde. Für die Rekonstruktion der Glasgemälde ist der Maximal-
fall von sieben Zeilen zugrunde zu legen. Wer annimmt, daß das Fenster weniger Zeilen
gehabt hat, mag dann entsprechend viele der rekonstruierten Zeilen streichen.
Von den jetzt hier eingesetzten Bildern sind fünf mit denen gleichen Inhalts in Walburg
so ähnlich, daß man die dort gewählte Folge als Leitfaden für die Rekonstruktion ver-
wenden kann. Dabei zeigt sich, daß zwei Scheiben, die in das folgende Fenster, IV rechts,
geraten sind, die Verkündigung an Maria und die Geburt Christi, in das Fenster V rechts,
gehören, also dessen oberste Zeile füllten. Dann enthielt das Fenster sozusagen den ersten
Abschnitt der Heilsgeschichte vollständig: vom Stammbaum Jesse bis zur Geburt Christi.
Der Stammbaum Jesse kann sich nur in der untersten Zeile befunden haben, so daß die
Reihenfolge der Szenen von unten hinauf ging. Das Bild enthält ein Wappenschild, das
von Bruck auf die Familie Böcklin, von Lili Fische! auf die der Prechter gedeutet worden
ist14. Es liegt nahe, rechts neben das Jessebild den betenden Stifter zu ergänzen. Freilich
wäre das Normale und Logische, daß das Wappen in der Stifterscheibe eingefügt wäre.
Vielleicht war es dort und wurde, als die Stifterscheibe beschädigt war, in das Jessebild
gerettet. In Glasgemälden ist vieles möglich (Taf. IV).
Bei der Restaurierung im Jahre 1872 oder vielleicht schon früher (1840?) hat ein wohl-
meinender Pfarrer unter einige Bilder erklärende Inschriften anbringen lassen 15. Unter
Jesse steht: „Aus Jesse soll mir ein Reislein kommen, David. Jesaias, 4, 2 etc.“ Zu diesem
Zweck wurde die Scheibe oben verkürzt. Hier hat der Geistliche, der die Erklärung an-
ordnete, wenigstens das Bild/richtig gedeutet, in den anderen vier Bildern ist seine Deutung
falsch.
Das Bild, das über Jesse folgte, die Verkündigung an die hl. Anna, sah vermutlidi fast
gleich aus wie das entsprechende in Walburg im linken Apsisfenster, Scheibe 7 a 16. Die
jetzt in St. Wilhelm vorhandene Scheibe ist fast völlig neu. Der vordere Pfeiler des Ge-
häuses steht vom linken Rand weiter ab als im Walburger Vorbild, so daß Platz blieb,
den sitzenden Mann einzuschieben. Der Geistliche hielt die Mutter Anna für Hanna, die
Mutter Samuels, daher ergänzte er jenen Mann als den Hohen Priester Eli, entsprechend
Samuel erstes Buch, I, 17. Die bösartig durch das Butzenfenster hereinschielende Frau ist
daher Penninah, die zweite Frau des Elkanah. Der Verkündigungsengel und der Damast-
ti Bruck, a. a. O., S. 123, bzw. Lili Fischei: Die Karlsruher Passion und ihr Meister, Karlsruhe 1952,
S. 25.
15 Im Jahre 1840 waren W. Röhrich und G. F. Redslob Pfarrer der Wilhelmerkirche, und 1872 E. A.
Engelmann und K. Tubach; vgl. in dem in Anm. 1 genannten Buch die Liste der Geistlichen auf
S. 101.
16 Die Walburger Serie ist bei Bruck, a. a. O., Tafel 56 bis 58 abgebildete und alle Scheiben sind dort,
S. 114 ff., jede einzeln ausführlich besprochen. Vgl. auch Frankl, Hemmelband, Tcxtabb. 1 bis 5.
beiden Spitzbogenfeldern innerhalb der sich hier umeinanderwindenden Stämmchen ist ein
dichtes Muster von Blättern, identisch mit denen des Grundes des Schmerzensmannes im
Vierpaß darüber. Das bestärkt die Überzeugung, daß der Schmerzensmann mit diesen zwei
kleinen Bogenfeldern stets verbunden war und diese mit den Randstreifen darunter. Es be-
steht kein Grund, die sechs Bilder von diesen Randstreifen zu trennen. Sie sind nur in ihrer
Reihenfolge falsch eingesetzt worden. Zuzugeben ist, daß ikonographisch der Schmerzens-
mann zu den sechs Bildern: Geschichte von Joachim und Anna, Geburt Marias, ihr Tempel-
gang, keine einleuchtende Beziehung hat. Der formale Zusammenhang ist aber so hand-
greiflich, daß die vor wenigen Jahren vorgenommene Umstellung des Schmerzensmanns
nicht gerechtfertigt ist (siehe unten Seite 26).
Wie viele Zeilen das Fenster ursprünglich hatte, ist, wie gesagt, ungewiß, es kann anfangs
tiefer heruntergereicht haben (auch falls ein Lettner seit 1306 vorhanden war und sich bis
an die Südwand ausdehnte), es kann vielleicht erst 1485 verkürzt worden sein, als der spät-
gotische Lettner eingebaut wurde. Für die Rekonstruktion der Glasgemälde ist der Maximal-
fall von sieben Zeilen zugrunde zu legen. Wer annimmt, daß das Fenster weniger Zeilen
gehabt hat, mag dann entsprechend viele der rekonstruierten Zeilen streichen.
Von den jetzt hier eingesetzten Bildern sind fünf mit denen gleichen Inhalts in Walburg
so ähnlich, daß man die dort gewählte Folge als Leitfaden für die Rekonstruktion ver-
wenden kann. Dabei zeigt sich, daß zwei Scheiben, die in das folgende Fenster, IV rechts,
geraten sind, die Verkündigung an Maria und die Geburt Christi, in das Fenster V rechts,
gehören, also dessen oberste Zeile füllten. Dann enthielt das Fenster sozusagen den ersten
Abschnitt der Heilsgeschichte vollständig: vom Stammbaum Jesse bis zur Geburt Christi.
Der Stammbaum Jesse kann sich nur in der untersten Zeile befunden haben, so daß die
Reihenfolge der Szenen von unten hinauf ging. Das Bild enthält ein Wappenschild, das
von Bruck auf die Familie Böcklin, von Lili Fische! auf die der Prechter gedeutet worden
ist14. Es liegt nahe, rechts neben das Jessebild den betenden Stifter zu ergänzen. Freilich
wäre das Normale und Logische, daß das Wappen in der Stifterscheibe eingefügt wäre.
Vielleicht war es dort und wurde, als die Stifterscheibe beschädigt war, in das Jessebild
gerettet. In Glasgemälden ist vieles möglich (Taf. IV).
Bei der Restaurierung im Jahre 1872 oder vielleicht schon früher (1840?) hat ein wohl-
meinender Pfarrer unter einige Bilder erklärende Inschriften anbringen lassen 15. Unter
Jesse steht: „Aus Jesse soll mir ein Reislein kommen, David. Jesaias, 4, 2 etc.“ Zu diesem
Zweck wurde die Scheibe oben verkürzt. Hier hat der Geistliche, der die Erklärung an-
ordnete, wenigstens das Bild/richtig gedeutet, in den anderen vier Bildern ist seine Deutung
falsch.
Das Bild, das über Jesse folgte, die Verkündigung an die hl. Anna, sah vermutlidi fast
gleich aus wie das entsprechende in Walburg im linken Apsisfenster, Scheibe 7 a 16. Die
jetzt in St. Wilhelm vorhandene Scheibe ist fast völlig neu. Der vordere Pfeiler des Ge-
häuses steht vom linken Rand weiter ab als im Walburger Vorbild, so daß Platz blieb,
den sitzenden Mann einzuschieben. Der Geistliche hielt die Mutter Anna für Hanna, die
Mutter Samuels, daher ergänzte er jenen Mann als den Hohen Priester Eli, entsprechend
Samuel erstes Buch, I, 17. Die bösartig durch das Butzenfenster hereinschielende Frau ist
daher Penninah, die zweite Frau des Elkanah. Der Verkündigungsengel und der Damast-
ti Bruck, a. a. O., S. 123, bzw. Lili Fischei: Die Karlsruher Passion und ihr Meister, Karlsruhe 1952,
S. 25.
15 Im Jahre 1840 waren W. Röhrich und G. F. Redslob Pfarrer der Wilhelmerkirche, und 1872 E. A.
Engelmann und K. Tubach; vgl. in dem in Anm. 1 genannten Buch die Liste der Geistlichen auf
S. 101.
16 Die Walburger Serie ist bei Bruck, a. a. O., Tafel 56 bis 58 abgebildete und alle Scheiben sind dort,
S. 114 ff., jede einzeln ausführlich besprochen. Vgl. auch Frankl, Hemmelband, Tcxtabb. 1 bis 5.