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Baumgarten, Die Wasserspeier am Freiburger Münster

Abb. 22. Paris. Hotel de Cluny. Nach Raguenct.

gefallen: die Grimasse, die Fratze wird Trumpf.
Hie und da gelingt wohl noch ein wirklich amüsantes
Ungeheuer; meist aber schmeckt die zuchtlose Phan-
tastik stark nach Decadence.

A. Die frühgotischen Speier oben an den Pfeilern 6

und VI (Abb. S. 18).

Pfeiler 6 o. I. Dickes Mutterschwein mit zwei Ferkeln
an den Eutern.

Pfeiler 6 o. r. Löwe, sehr ähnlich dem Löwen in der
untern Reihe des Westturms.

Pfeiler VI o. r. Dickes Schaf.

Pfeiler VI o. I. Schafbock mit lang herabhängenden Hoden.

B. Die spätgotischen Speier der Pfeiler 3 5 und III—V.

(Abb. S. 19 ff.).

Pfeiler 3 o. I. Gänzlich nackte Frau stemmt sich mit
durchgedrückten Beinen an das Gesims und hält sich zugleich
mit den Händen an spätgotischem Astwerk. Das locken-
umrahmte, von tiefen Stirnrunzeln und Falten durchfurchte
Gesicht ist das eines Menschen von schwerem Stuhlgang. Die
Figur hat zwei Köpfe, die sich rechts und links an die Pfeiler-
ecke legen. Das derbe, nicht ohne Talent durchgeführte Motiv
hat, soweit mir zurzeit bekannt, nur ein Analogon in Frankreich
aus erheblich späterer Zeit (Abb. 22 und 23).

Pfeiler 3 o. r. Vornehm gekleideter Jüngling — beachte
die Knopfreihen an den engen Ärmeln und den mit Buckeln
besetzten Gürtel — hält sich seinen nach dem Hals hinauf-
gestreiften Mantel wie eine Serviette unter das speiende Maul.

Pfeiler 4 o. I. Teufel, in Buch lesend, in allerneuester
Zeit (also wohl zum drittenmal?) erneuert.

Pfeiler 4 o. r. Hund, der sich mit der linken Vorderpfote
am Ohr kratzt.

Pfeiler 5 o. I. Pudelhund, sechsbeinig, gleich dem folgen-
den aus braungelbem statt rotem Sandstein.

Pfeiler 5 o. r. Löwe, sechsbeinig, scheint an einem Men-
schenbein zu nagen. Von der Flickarbeit an diesem Pfeiler 5
war oben die Rede.

Pfeiler III o. I. Teuflisches Ungetüm mit großem Hahnen-
kamm, das sich mit den Pfoten das Maul auseinanderreißt.

Pfeiler III o. r. Nacktes Weib mit einem kreisrunden,
gleich einem Gefäßmund geformten Riesenmaul, langen Schlapp-
ohren, flaschenförmigen Hängebrüsten und außerdem noch tieri-
schem Euter. Die rechte Hand fasst nach dem Ohr, die linke
hält das rechte Bein nach vorn und oben, so dass die Fuß-
zehen fast die Brust berühren. Höchst unästhetische Positur,
ohne allen formalen Wohllaut.

Pfeiler IV o. I. Teufelsfratze mit plattgestoßener Nase.

Pfeiler IV o. r. Desgleichen mit höchst unwahrschein-
licher Nase.

Pfeiler V o. I. Desgleichen mit HaiBschmaul.

Pfeiler V o. r. Desgleichen mit doppeltem Kopf und dop-
peltem Wasserkanal (vgl. Abb. 24).

Die Wasserspeier am Hochchor.

Im Jahre 1354 war der Grundstein zum gotischen
Neubau des Chors gelegt worden. Aber erst im
Jahre 1510 konnte das Gewölbe geschlossen werden.
Die plastische Ausstattung des Äussern hat dann jeden-
falls noch länger gedauert. Die Anfügung der Wasser-
speier scheint auf der Nordseite begonnen zu haben:
der erste Wasserspeier (/) an der gleichzeitig mit dem
neuen Chor hergestellten Alexanderkapelle trägt am
Spruchband die Zahl 1514; der letzte untere Speier der
Südseite (Y) die Zahl 1530. Die Annahme liegt nahe,
dass in der Zeit zwischen diesen beiden Daten die
Chorspeier sämtlich geschaffen wurden. Sie sind von
sehr verschiedenartiger Beschaffenheit. Grauer Sand-
stein wechselt mit rotem ab. Das Format ist bald das
herkömmliche, baldein erheblich größeres; imletzteren
Fall sitzen die Speier nicht mitten vor der Pfeilerfront,
sondern sind unmittelbar an der einen Pfeilerkante
eingelassen (vgl. z. B. U und Y). Inhaltlich spielen
karikierte Fratzen die Hauptrolle; zur Ikonographie
des Teufels wird reichliches Material geboten. Da-
neben kommen aber auch die alten, biedern Speier-
tiere der Frühgotik vor, nur dass sie jetzt ohne alle
Frische, ohne Saft und Kraft sind: es herrscht das
eklektische Verfahren einer epigonenhaften Zeit, der
die Gotik ein überwundener Standpunkt zu werden
beginnt. Der Humor ist an einigen Exemplaren wo-
möglich noch aufgekratzter als in der vorigen Gruppe:
aber die Absicht ist so unverkennbar, dass sie mehr
verstimmt als erheitert und beglückt.

In stilistischer Hinsicht lassen sich mit einiger
Sicherheit sieben Gruppen unterscheiden, und zum
mindesten waren es sieben verschiedene Steinmetzen,
denen wir diese Skulpturen verdanken.

1. Zur 1. Gruppe, die man fast eine archaisierende
nennen könnte, weil sie lediglich harmloses Getier
in frühgotischer Biederkeit bietet, möchte ich die
Speier m, K, Q zählen.

2. Etwas weniger steif, doch immer noch streng
und bieder sind die Speier C, 0, M.

3. Frühgotisch fratzenhaft, doch ohne alle Aus-
gelassenheit, nüchtern und plump sind l, n, G, W
und Y.

Abb. 23. Die Figur Abb. 22 von der andern Seite. Nachzeichnung.
 
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