Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Baumgarten, Die Wasserspeier am Freiburger Münster

11

zigen Bildchen an den Kämpfergesimsen der hiesigen Niklaus-
kapelle keinerlei symbolische oder moralische Absicht zugetraut
werden darf, steht mir fest, trotz der gegenteiligen Ausführungen
Panzers in diesen Münsterblättern (Jahrgang 2, S. 11, 19, 21, 28).
Dazu ist der Maßstab dieses offenbar als Teppichsaum ge-
dachten und ordentlich mit einem Passepoil umränderten Bilder-
streifens schon viel zu klein. Auch ist es selbst dem Scharf-
sinn Panzers nicht gelungen, ein irgendwie einleuchtendes
System in dieses aus morgenländischem Ornamentgetier und
Lieblingsgestalten abendländischer Phantastik bunt zusammen-
gewobene Sammelsurium zu bringen. Das aber möchte ich
allerdings behaupten, dass der Verfertiger dieses steinernen
Teppichsaums mit einem entschiedenen Sinn für Humor und
Komik seine Auswahl traf, dass er auch in der Gestaltung des
einzelnen, soweit sein statuarisches Unvermögen und das winzige
Format es irgend gestatteten, eine scherzhafte Wirkung erstrebte.
Auch in dem Skulpturenschmuck unseres Hauptportals glaube
ich den gutherzigen, frohgemuten Schelm in mancher Einzelheit
zu spüren, desgleichen in der Schöpfungsgeschichte des nörd-
lichen Chorpförtchens. Doch davon an einem andern Orte mehr.
8 Mit Jahreszahlen sind nur drei der spätesten Speier aus-
gestattet (/, Vund/). Urkunden stehen nicht zur Verfügung; die
vom Jahre 1471 an vorhandenen Baurechnungen der Münsterbau-
hütte beschränken sich, soweit ich das aus einigen Stichproben
entnehmen zu können glaube, auf Mitteilung der an Meister und
Gesellen ausgezahlten Löhne, ohne dass die Werkstücke, an
denen gerade gearbeitet wurde, auch nur mit einer Silbe nam-
haft gemacht würden. Aber wie gesagt, es sind nur wenige

Stichproben, die ich nach dieser Richtung hin in den Akten
machen konnte; ausgeschlossen ist es keineswegs, dass eine
genauere Durchsicht der Akten doch noch baugeschichtliche
Daten auch für unsere Speier liefert.

Die Numerierung ist aus Abb. 11 ersichtlich, wo alle
mit Speiern behafteten Strebepfeiler des Langhauses mit arabi-
schen und römischen Zahlen, mit großen Buchstaben die des
Chors, mit kleinen die der Kapellen bezeichnet sind. Der Zu-
satz o. 1. und o. r. gibt an, ob der betreffende Speier oben rechts
oder oben links sitzt; die unten befestigten Speier sind mit u. ge-
kennzeichnet.

10 Vgl. Meißner in Herrigs Archiv 1882 S. 187.

11 Vgl. E. Male, L'art religieux en France, 2. Aufl. S. 23
Fig. 6. Auch am Fürstenportal in Bamberg sind Propheten mit
Aposteln in dieser Weise gruppiert.

15 Vgl. A. Raguenet, Materiaux et documents, Lief. 172,
S. 22, C, S. 23 oben.

,! Vgl. Jules Adeline, Les sculptures grotesques et sym-
boliques Taf. XV und XVI.

11 Über die Baugeschichte des Langhauses und Westturmes
findet man alles Nötige jetzt gut zusammengestellt in dem neuen
Münsterführer von Kempf und Schuster S. 12 ff.

'' C. Enlart, L'art gothique en Chypre I, S. 328 Fig. 202
bildet einen ähnlichen, leider kopflosen weiblichen Speier von
der Eglise Saint Georges des Latins auf Cypern ab, d'un dessin
et d'une elegance remarquables. Vgl. auch den nackten weib-
lichen Speier g an der hiesigen Abendmahlskapelle.

1,1 Vgl. Kempf und Schuster a. a. O. S. 69.

Nachtrag. Der vorliegende Aufsatz war schon
gesetzt, als mich im Winter 1906 07 eine Urlaubsreise
nach Kleinasien und Griechenland führte. In Pergamon
sah ich auf der untern oder zweiten Agora einen Wasser-
speier in Form einer bärtigen Fratze, der an einer
byzantinischen Kirche gesessen haben muss, die im
4. Jahrhundert auf jener hellenistischen Agora erbaut
worden war (vgl. Athen. Mitteilungen 1902 S. 34). Auch
in Athen bemerkte ich, dass an der Panagia Gorgoepikoos,

die aus dem 9. Jahrhundert stammt, über den acht Ecken
des Kuppelgehäuses ähnliche, wenig vorspringende, zwi-
schen Menschenfratze und Löwenkopf die Mitte haltende
Wasserspeier sitzen. Es wäre also irrig, wenn man an-
nehmen wollte, die frühchristliche und byzantinische
Architektur habe dieses Bauglied gar nicht verwendet.
Nur soviel lässt sich behaupten, dass erst die Gotik
wieder einen reichlicheren Gebrauch davon machte, dass
sie erst die weitvorragenden Typen schuf.

Abb. 25. Bruchstück von einem verschollenen Wasserspeier des
Freiburger Münsters. Nach Schauinsland 9 (Freib. 1882), S. 16.
 
Annotationen