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Kleine Mitteilungen und Anzeigen

87

Die neueste Literatur über das Freiburger Münster.

Von

Professor Dr. Joseph Sauer.

i duo faciunt idem, non est idem, diese
alte Wahrheit bestätigt sich auch an den
zwei neuesten Münsterführern. Sie sind
fast gleichzeitig miteinander erschienen; da-
durch allein schon ist die gegenseitige Un-
abhängigkeit genügend garantiert. Aber auch im Plan
selbst und in dessen Ausführung unterscheiden sich die
beiden Darstellungen sehr wesentlich voneinander. Die
von Kempf-Schuster ist eine eigentliche Monographie
geworden, deren „Führer"charakter stark hinter der
wissenschaftlich fachmännischen Behandlung des Ma-
terials zurücktritt; sie hält sich auf breiterer Basis und
will, wie vor allem im Abschnitt über die Baugeschichte
auch dem Fachmann etwas bieten. So darf sie in der
Bibliothek des Kunsthistorikers einstweilen als Orien-
tierungswerk stehen, bis das Münster die gründliche
fachmännische Monographie erhalten hat, auf die es An-
spruch erheben darf. Gibt somit diese Studie der zwei
Freiburger Architekten mehr, als sie im Titel verspricht,
so scheint uns der von Baiimgarten gewählte Titel1 weit
eher für Kempf-Schusters Monographie zu passen. Denn
Baiimgarten legt uns tatsächlich nur einen ,Führer' vor,
mit Ausschluss aller andern Tendenzen; einen ,Führer'
für die große Masse, für den Touristen- und Fremden-
schwarm, der zu dem schönen Bau pilgert und rasch
über ihn orientiert werden will. Diese Aufgabe erfüllt
das so richtig für die Tasche zugeschnittene Büchlein
ganz vorzüglich: die schwere fachtechnische Ausdrucks-
weise ist durch einen frischen, anschaulich schildernden
Ton ersetzt; jeder wissenschaftliche Ballast ist peinlich
beseitigt; selbst die Baugeschichte hat eine fast zu
weitgehende Beschneidung erfahren müssen.

Überhaupt muss vorgemerkt werden, dass der Be-
schrieb des architektonischen Details entschieden hinter
dem des ikonographischen zurücktritt. Wo aber bau-
geschichtliche Fragen angefasst werden, da scheinen die
Lösungen uns nicht durchaus glücklich zu sein. So will
mir der Beweis, dass der Erbauer des Langhauses vom
Straßburger Münster auch die noch sehr befangenen
Ostjoche des hiesigen geschaffen haben soll (S. 3), durch-
aus nicht geglückt erscheinen. Wenn Straßburg für die
neue Bauweise angerufen wurde, dann schickte es doch
kaum einen Meister, der in Freiburg noch tastende Ex-
perimente machen musste. Man müsste geradezu an-
nehmen, dass er am hiesigen Bau von der Sicherheit,
die er am Langhaus in Straßburg gezeigt, wieder sehr
stark abfiel. Auch die Zurückhaltung gegenüber der
urkundlichen Erwähnung des ,nüwen turnes, da die
gloggen innen hangent' (1301), auf Grund deren Baum-
garten den Turm als bloß bis zur Glockenstube um

1 Das Freiburger Münster, beschrieben und kunstgeschicht-
lich gewürdigt von Fritz Baumgarten. Mit neun Kunstbeilagen
und einem Grundriß des Münsters. Stuttgart o. J., Walter Seifert.
Kl. 8" (59 S.) Preis: M .80.

diese Zeit vollendet annimmt, kann ich nicht teilen.
Ist der Turm nur halb fertig, so redet man doch kaum in
einer Urkunde von einem „neuen Turm". Noch weniger
hängt man Glocken schon hinein, wo vorn noch andere
hierfür zunächst geeignete Türme stehen; ebensowenig
transportiert man sie schon von da in den halbfertigen
Bau. Weiterhin vermag ich der, wenn auch nur be-
dingungsweise vorgetragenen Annahme, als ob die Kur-
vatur erst nachträglich entstanden -- da wäre doch
wohl gleich der ganze Helm heruntergekommen — und
teilweise „ein Auskunftsmittel der Verlegenheit" sei,
nicht zuzustimmen. Bei einem Verfahren, wie Baum-
garten es sich denkt, als ob „man die Rippen schließ-
lich hätte biegen und zwängen müssen, um sie alle unter
der Kreuzblume richtig zu vereinen", wäre es sicher-
lich um die Stabilität schlecht bestellt gewesen. Unseres
Dafürhaltens ist die Kurvatur ein von allem Anfang an
gewolltes und konsequent aus dem Aufbau des Turmes
sich ergebendes Mittel zur Erzielung einer ästhetischen
Wirkung. Dafür kommt diese Schwellungslinie viel zu
oft vor an mittelalterlichen, übrigens auch an antiken
Bauten und vor allem auch an Horizontalfluchten, wo
man doch gewiss von „Verlegenheitsauswegen" nicht
reden kann. Ich habe schon früher einmal an dieser
Stelle auf die entsprechenden Forschungen von Goodyear'2
verwiesen, aus denen sich ergibt, dass die auf eine
künstlerische Wirkung hinzielende Kurvatur geradezu
ein Gesetz mittelalterlicher Architektur ist.

Die kurze, knappe Ausdrucksweise, die erstes Ge-
setz eines solchen ,Führers' ist, kann, so begrüßens-
wert sie im allgemeinen ist, doch auch ihre Nachteile
haben, ebenso wie der frische, auf plastische Deutlich-
keit hinsteuernde Ton, über den der Verfasser in hohem
Grade verfügt. Aus ersterer ergeben sich oft genug
Unklarheiten und nur zum Teil richtige Behauptungen.
So ist S. 6 das Urteil über die Grafen von Freiburg,
,dass sie meist bankerott, schlecht für die Kirche sorgten',
in seiner summarischen Allgemeinheit durchaus nicht
einwandfrei, und kann so erst von dem späten Konrad III.
an gefällt werden. Die daraus gezogene Folgerung für
den Münsterbau (wohl eine Reminiscenz aus Bader, bei
dem sie aber ganz anders motiviert ist), kann gleichfalls
vom Standpunkt der Geschichte aus beanstandet werden;
ebenso eine Stelle S. 15 wegen zu knapper Fassung. Wenn
Baumgarten die Sage von der heiratslustigen Nonne er-
zählt, die in einen Wasserspeier gebannt wurde, so hätte
er die kulturgeschichtlich interessante Pointe nicht ver-
gessen dürfen, dass das in den Tagen Luthers sich zuge-
tragen haben soll. Weiterhin darf S. 30 nicht so allgemein
gesagt werden, dass ,die Fenster die Wappen der ver-
schiedenen Zünfte enthielten, die bei Alarm unter diesen
Fenstern auf dem Platze anzutreten hatten'. In erster
Linie sind die Wappen doch wohl Stiftervermerke.

2 American Journal of Archeology 1902, 166 ff.
 
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