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Münsterbau-Verein <Freiburg, Breisgau> [Hrsg.]
Freiburger Münsterblätter: Halbjahrsschrift für die Geschichte und Kunst des Freiburger Münsters — 10.1914

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Beissel, Stephan: Nochmals "Der Fürst der Welt" in der Vorhalle des Münsters zu Freiburg
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https://doi.org/10.11588/diglit.2546#0032
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Beissel, Nochmals „Der Fürst der Welt" in der Vorhalle des Freiburger Münsters

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durch Ungeziefer bedeckt. Aber Wirnts Schicksale Gefangenschaft und Strafe auf den Rücken einzu-

schilderte der 1287 verstorbene Konrad von Würz- brennen.

bürg; Heinrich von Meißen lebte bis 1318. Die Isaias redet von Sirenen in den Gehäusen der

beiden Statuen zu Nürnberg an St. Sebald und am Wollust2, der Erlöser aber vergleicht die gleiß-

Südportale des Domes von Worms stammen erst nerischen Pharisäer mit geweißten Gräbern, welche

aus dem 14. Jahrhundert. In Worms reicht Frau außen schön, innen aber voll Fäulnis und Ungeziefer

Welt einem Ritter einen Schild, in Nürnberg ist ihr sind3.

Rücken von Ungeziefer bedeckt. Man kann darum Wichtig ist die Inschrift unter dem Bilde des

wohl kaum mit Recht behaupten, die
Freiburger Statue des Verführers mit
dem Ungeziefer auf dem Rücken, wel-
che vor 1270 entstanden ist, sei eine
Umwandlung des Bildes der „Frau
Welt". Beide entstammen demselben
Ideenkreise und besagen: „Die Ver-
führung tritt gewinnend und anspre-
chend auf, endet aber traurig." Wir
brauchen zur Erklärung dieses Ge-
dankens nicht auf Julian oder Plato
zurückzugehen, bei denen der miss-
gestaltete Rücken ein Bild der ent-
stellten Seele ist, was in Freiburg nicht
zutrifft. Die Heilige Schrift lag im
13. Jahrhundert den Schöpfern der
Bilder der Vorhalle näher. Sie stellten
neben jenen verführerischen Stutzer
ein Bild der Wollust (Voluptas). Nun
aber sagt schon Salomo im Prediger:
„Entferne die Bosheit von deinem
Fleische, denn Jugend und Wollust
sind eitel1."

Das auf dem Mantel des eiteln, ge-
zierten Jünglings kriechende Gewürm
ist ebenso eine Kennzeichnung für ihn,
wie es für die Voluptas neben ihm
das Bockfell ist, welches ihr als Mantel
dient. Das Bockfell sinnbildet Geilheit,
das Gewürm die Folgen der einschmei-
chelnden Verführungskunst. Beide
deuten nicht hin auf die Offenbarung
des Gewissens nach dem Gericht, son-
dern auf die verderblichen Wirkungen
der verführerischen Jugend und der
Wollust bei andern, welche vor dem
Richter zu erscheinen haben, wie die zehn Jung-
frauen vor dem Bräutigam. Wie nahe es lag, den
Rücken als Stelle zu benutzen, der diese Kenn-
zeichnung zu tragen habe, zeigt auch Horaz, der die
finstere Sorge hinter den Reiter aufs Pferd setzt,
und die Sitte der Alten, Zeichen der Knechtschaft,

eiteln Jünglings. Sie lautet: Calumnia.
Da man die übrigen Inschriften der
Vorhalle anstandslos gelten lässt, trotz
aller Restaurationen, und da alle gute
Deutungen geben, hat E. Kreuzer in
seiner Erklärung der Bilder der Vor-
halle mit Recht an ihr festgehalten und
so schon die Bezeichnung „Fürst der
Welt" als nichtig erwiesen4. Ganz richtig
ist seine Bemerkung, die Übersetzung
„Verleumdung" sei unzutreffend, viel
zu enge. Calumnia ist „Irreführung,
Täuschung". Der elegante junge Herr
ist eine Personifikation der Calumnia,
weil jeder Verführer täuscht, weil seine
Worte Glück verheißen, seine Werke
aber Unglück bringen, weil der Avers
der Medaille ein anderer ist als der
Revers. Darum warnt der Prediger:
„Wer sich zu Wollüstigen gesellt, wird
verdorben, Verwesung und Würmer
werden ihn beerben."5 Mathathias aber
sagte: „Der Glanz des Sünders ist Kot
und Würmer."6

Fast allgemein wird angenommen,
„der Fürst der Welt" und die zu seiner
Linken stehende Wollust gehörten zu
den törichtenjungfrauen. Ist das richtig?
Trotz vieler Erklärungen bleibt hin-
sichtlich der Anordnung der Vorhalle
noch mancherlei dunkel. Wie gewöhn-
lich stehen die törichten Jungfrauen zur
Linken des Richters bei der Synagoge,
zur Rechten bei der Kirche und bei

Der Fürst der Welt"
am Basler Münster.

1 Amove malitiam a carne tua, adolescentia enim et volup-
tas vana sunt. Memento creatoris tui in diebus iuventutis,
antequam . . . recurrat vita aurea ... et revertatur pulvis in
terram suam . . . Vanitas vanitatum. Ecclesiastes 11, 10 f.

" Sirenes in delubris voluptatis; Isaias 13,22.
Vgl. Quod autem in spinis cecidit, hie sunt qui
audierunt et a sollicitudinibus et divitiis et voluptatibus vitae
suffocantur et non referunt fructum. Luc. 8, 14.

8 Vae vobis, scribae et pharisaei, hypocritae, quia similes
estis sepulcris dealbatis, quae aforis parent hominibus speci-
osa, intus vero plena sunt ossibus mortuorum et omni spur-
citia. Matth. 23. 27. Vgl. Habacuc 3, 16: Subter me scateat.

4 Münsterblätter VI 11 (1913), 57. Ducange erklärt in seinem
Lexikon latinitatis calumnia als „fraus, dolus, versutia et callida
fallendi ratio". Er leitet das Wort ab von calvo = decipio.

5 Qui se iungit fornicariis erit nequam; putredo et vermes
hereditabunt illum. I. Ecclesiastic. 19, 3.

0 A verbis peccatoris ne timueritis, quia gloria eius stercus
et vermis est. 1. Machab. 2, 62.
 
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