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Münsterbau-Verein <Freiburg, Breisgau> [Hrsg.]
Freiburger Münsterblätter: Halbjahrsschrift für die Geschichte und Kunst des Freiburger Münsters — 10.1914

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Beissel, Stephan: Nochmals "Der Fürst der Welt" in der Vorhalle des Münsters zu Freiburg
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https://doi.org/10.11588/diglit.2546#0033
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Beissel, Nochmals „Der Fürst der Welt" in der Vorhalle des Freiburger Münsters

Christus die Klugen. Aber Voluptas und Calumnia
haben ihren Platz nicht bei den Törichten, sondern
zur Rechten zwischen zwei Engeln; der neben der
Calumnia stehende warnt: Nolite exire: „Gehet nicht
heraus (wenn trügerische Propheten reden)", der
neben der Voluptas: Ne intretis.
„Betet, damit ihr nicht (in Versu-
chung) fallet." Ein dritter Engel fügt
bei: Vigilate et orate. „Wachet und
betet (denn ihr wisset nicht, wann
das Gericht eintritt)." Diese fünf
Figuren gehören zusammen und sind
durch andere von den zehn Jungfrauen
getrennt. Sie sind hingestellt dem
Richter gegenüber. Lesen wir die
Parabel von den Jungfrauen, so bietet
sie nichts, was sich auf die Voluptas,
die Calumnia und deren Engel be-
zieht. Man hat im Mittelalter oft die
genannte Parabel dramatisch bear-
beitet. Eine französische Bearbeitung
erweitert sie insofern, als Gabriel die
Ankunft des Bräutigams meldet und
die törichten Jungfrauen zu den Krä-
mern eilen, um Ol zu kaufen1.

In einer deutschen, welche 1322
auf den Markgrafen Friedrich von
Meißen so tiefen Eindruck machte,
treten Heilige und Maria vergeblich
ein als Fürbitter für die Törichten.
Einen „Fürsten der Welt" fand ich
in keinem solchen Spiel, in keiner
Homilie oder Schrifterklärung des
13. oder 14. Jahrhunderts2. Erst in
Straßburg ist die Gestalt der Ca-
lumnia neben die letzte der törichten
Jungfrauen gesetzt worden, in Basel
dann so, dass die beiden Figuren
der Calumnia und jener Jungfrau zu
einer gemeinen Verführungsszene
herabgesunken sind3.

„Die Frau Welt"

am Basler Münster.

1 Abgedruckt bei A. N. Didron, Annales XI, 202s.

" Beckstein R., Das Spiel von den zehn Jungfrauen. Rostock
1872. Er gibt S. 43 die Literatur. Vgl. K. Goedeke, Grundriss
zur Geschichte der deutschen Dichtung. 2. Aufl. Dresden 1884 ff.
1, 321.

;' Nach Rud. J. Rahn, Geschichte der bildenden Künste in
der Schweiz. Zürich 1876, S. 585 Anm. 2, „wäre die Darstellung
des mit Flammen und Ungeziefer bedeckten Rückens (der Ca-
lumnia zu Freiburg) als eine naive Abbreviatur der Hölle und
die nebenan befindliche Dame (Voluptas) als Frau Weh, des
Satans Geliebte, zu betrachten,"

Anmerkung der Schriftleitung. Vor kurzem ist in
der Basler Zeitschrift für Geschichte und Altertumskunde 13

Wieviel edler ist die Freiburger Anordnung,
weil sie die Voluptas und Calumnia durch einen
Engel streng scheidet von den Heiligen des Alten
Bundes, welche neben ihnen stehen.

Das Ergebnis unserer Untersuchung ist also
dieses: Jene Figur stellt nicht den
„Fürsten der Welt" dar, sondern die
Calumnia, den Gleißner, den Ver-
führer, dessen doppelzüngiges Wesen
dadurch gekennzeichnet ist, dass er
vorne als vornehmer Jüngling, hinten
auf dem Rücken als Elender er-
scheint. Eine äußerliche Ähnlichkeit
mit jenen auf dem Rücken entstellten
Fürsten bei den genannten antiken
Schriftstellern ist freilich vorhanden,
darum war es gut, auf jene Stellen
aufmerksam zu machen, und verdient
Asmus Dank. Aber ein Eindringen
von orphisch-pythagoreischen Ideen
in den Gedankenkreis des Mittel-
alters dürfte darin doch nicht zu
finden sein, gewiss nicht eine Be-
ziehung zum jüngsten Gericht. We-
nigstens in Freiburg ist der sog.
„Fürst der Welt" in keiner Weise
hingestellt als Gegenbild des Bräu-
tigams oder des Weltrichters. Vor
Voluptas und Calumnia warnen die
Engel, weil diese beiden ebensosehr
jene ins Unglück brachten, welche in
der Szene des Gerichtes von Teu-
feln zum Rachen der Hölle gezogen
werden, als die törichten Jungfrauen.
Die Parabel von den Jungfrauen
mahnt zur Wachsamkeit, weil man
nicht weiß, wann der Bräutigam
kommt, die Gruppe der Voluptas und
Calumnia mit ihren Engeln fordert
auf zum Widerstand gegen das Böse,
damit der Bräutigam als Richter den
Menschen nicht die Türe des Him-
mels schließe und sie nicht verweise.

(1914), S. 194—204, die Frage nach der Bedeutung der sog. Frau
Welt am Basler Münster von Wilh. Altwegg aufs neue unter-
sucht und auf Grund der Baudaten dahin entschieden worden,
dass die der gleichen Gruppe am Straßburger Münster um die
Wende des 13. Jahrhunderts nachgebildeten zwei Basler Figuren
Reste einer Darstellung der törichten Jungfrauen mit
dem Teufel seien, d. h. der Teufel als Verführer und
scheinbare Tröster und eine von ihm verführte törichte
Jungfrau des biblischen Gleichnisses.
 
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