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Marini, Marino [Ill.]; Fuchs, Hans [Oth.]
Marino Marini - Il Miracolo 1953 — Werkmonographien zur bildenden Kunst in Reclams Universal-Bibliothek, Band 70: Stuttgart: Reclam, 1961

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.72983#0049
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zückte Geste der Reiter, es begründet gerade so die mäch-
tige Schwellkraft der Form. Dies Sich-Aufrichtende be-
gnügt sich keineswegs mit Gestik und Allegorie, es holt
das alte mittelmeerische Element des Phallischen un-
mittelbar heran, setzt Schwellkörper in die Form und
provoziert das Wachstum (schade, daß verlegene Prü-
derie darauf drang, den großen Holzreiter seines un-
verhohlenen Attributes, seines phallus errectus, zu be-
rauben). In allem geht es darum, die Kraft und Macht
des Daseins zu einer plastischen Erscheinung zu bringen,
die jede Gewaltsamkeit letztlich in einer höheren Natür-
lichkeit aufhebt.
Und in all dem ist nichts hoffnungslos. Natürlich ist
Marini aus seiner alten Rasse keiner dieser schrecklichen
Optimisten, die durch Schwung die Trauer unseres Da-
seins bagatellisieren. Keiner dieser „christlichen Abend-
länder", die genüßlerisch die Katastrophenkonstellation
ausmalen, um dann mit Allgemeinplätzen und vagen
Hinweisen auf Höheres von Trost und Rettung reden
zu können. Keiner dieser „Humanisten" mit dem hoch-
erhobenen Haupt des Heroikers (dahinter dann die
Fluchttendenz nach hinten und das Weinerliche). „Strano"
— sagte Marini — „sai oramai tutti i cavallieri me lo
cadono" — „seltsam, weißt du, alle Reiter fallen mir
jetzt vom Pferd", das ist es: — es ereignet sich an ihm,
und er klagt darüber, er will gar nicht, daß alles immer
tiefer ins Tragische gerät: — stürzende Reiter, zusam-
menbrechende. Es ereignet sich an ihm. Aber daraus be-
merken wir — welche Kraft aus männlicher Trauer reckt
sich in diesen Reitern. Dies letzte männliche Jasagen,
das das Zeichen eines festen Glaubens an die Pracht und
Macht unseres Existierens in der Welt ist.
Werner Haflmann: Marino Marini. Das Kunstwerk IV/1952,
Woldemar Klein Verlag, Baden-Baden

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