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Galerie und Sammler: Monatsschrift der Galerie Aktuaryus, Zürich — 2. Jahrgang, Heft 11.1933/​1934

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HODLER, SPITTELER, AMIET
VON GOTTHARD JEDLICKA

Wer über die schweizerische Malerei der Gegenwart schreibt, darf
nicht vergessen, mit der Malerei von Ferdinand Hodler zu beginnen.
Ferdinand Hodler hat der schweizerischen Malerei nach Böcklin
zum ersten Mal wieder europäisches Ansehen verschafft. Er ist für
die künstlerischen Möglichkeiten der Schweiz, die man bis zu sei-
nem Erscheinen überhaupt nicht in ihrem vollen Umfang erkannte,
außerordentlich charakteristisch. Denn er ist nicht nur ein deutsch-
schweizerischer, sondern ein schweizerischer Künstler. In seiner
künstlerischen Erscheinung verbinden sich germanische und roma-
nische Elemente wie in der dichterischen Erscheinung von Carl
Spitteler. Und damit haben wir auch schon den schweizerischen
Dichter genannt, der in der Literatur der Schweiz auf die gleiche
Weise charakteristisch ist. Es ist ein Wunder unter den vielen
Wundern des Geistes, daß diese beiden Schweizer zugleich gelebt
und daß sie sich gekannt haben. Eine Frucht dieser Bekanntschaft,
aus der keine Freundschaft erwachsen ist — was wir als einen
großen Verlust empfinden —, sehen wir im eindringlichen Bildnis,
das Hodler nach Spitteler gemalt hat und das zu den bedeutendsten
Bildnissen der schweizerischen Malerei gehört. Hodler und Spit-
teler sind einander in vielen Zügen verwandt. Schon die äußere
Form ihres Schicksals, die ja immer auch durch innere Notwendig-
keiten bedingt ist, weist eine ähnliche Kurve auf. Sie sind heute,
wenige Jahre nach ihrem Tod, in einer ähnlichen Art umstritten,
nachdem sie vorher nach langer Verkanntheit mit einer gleichen
Raschheit in den Weltruhm emporgetaucht waren. Die literarische
Kritik der jüngeren Generation in der Schweiz am Werk von Spit-
teler gleicht in einem erstaunlichen Umfang der Kritik der jün-
geren Kunstschriftsteller an der Malerei von Hodler. Wer sich aber
mit Hodler und Spitteler auseinandersetzt, kommt um das eine
nicht herum: um die fast unheimlich intensive Substanz ihres
Werkes. Diese schöpferische Substanz muß auch die geheimste
geistige Substanz ihrer schweizerischen Gegenwart gewesen sein.
Hodler und Spitteler waren Naturen mit einem ungeheuren künst-
lerischen Formwillen. Dieser Wille hat sich bei beiden erst durch
schwere innere und äußere Widerstände hindurch die entschei-
dende Form geschaffen — eine Form, die in einem schroffen Ge-
gensatz zum allgemeinen Stilwillen ihrer Zeit zu stehen schien.
Ihr letztes Ziel war der monumentale Ausdruck ihrer geistigen,
dichterischen und malerischen Vision. In der Malerei wird dieser
Ausdruck durch das Fresko am leichtesten möglich gemacht, in der

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