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Die Gartenkunst — 33.1920

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Der Kulturmensch in seinem Verhältnis zum Garten
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https://doi.org/10.11588/diglit.20812#0090

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Lageplan der Besitzung Dr. Kr., Alsbach a. d. Bergstraße.

Umgestaltung der Gartenanlagen durch F. Wirtz, Frankfurt a. M. und Heidelberg-Schlierbach. Ungef. 1 : 600.

dem Menschen in seinen Zivilisationskram paßt, einem Extrem ins andere. Sein Geist kann nicht

indem es ihm eines seiner zehntausend ausge- anders als fieberhaft denken und sinnen und in

tüftelten Bedürfnisse befriedigt, das ist vogelfrei, rasendem Tempo neue Maschinen und neue Me-

Unser Ideal ist die Ausnützung jeder mechanischen thoden erfinden, um mehr, immer mehr Macht

Energie, ohne daß ein Partikelchen davon verloren und Lust aus der immer ärger geschundenen

gehe, und die Herabwürdigung des Organischen Schöpfung herauszupressen; dabei sehnt sich die

zu einem Lieferanten von einseitigem Nutzen vergewaltigte Natur in ihm nach ihrem ange-

oder spezialisierter Lust — mag das einzelne stammten Element, nach einem Leben im Freien

Geschöpf darüber zur Karikatur werden, wie und Grünen und Ursprünglichen; und diese Sehn-

Mastschwein oder Schoßhund. ■ sucht schwillt an, schwillt an, bis sie ihn schließ-

Und der gleiche Mensch, der in der Natur lieh, ob er will oder nicht, aus seiner asphaltier-
nur Betriebskraft und Rohstoff für seine Industrie ten und betonierten und mit Maschinen gespickten
oder zinsträchtiges Kapital sieht, der in stierer Großstadt in die seiner Zivilisationsbrunst noch
Konsequenz die Landschaft verhunzt und ver- entgangenen Reste von Wald und Flur hinaus-
qualmt, mit Trockenbagger und Dampfkran sich treibt. Im instinktiven Drang, dasUbermaß städti-
in ihren Leib einwühlt, sie in eiserne Schienen- scher Zivilisation durch ein Übermaß ländlicher
stränge einschnürt und sie mit galvanisierten Natur auszugleichen, sucht er mit Vorliebe die
Drähten umspult, dieser heillose naturmörde- wildesten und unberührtesten Szenerien auf:
rische Patron flieht in seiner Freizeit aufs Land Gebirgswälder, Felsöden, Meerlandschaften. Die
hinaus, der verdreht die Augen nach jedem Mat- eine Einseitigkeit will er durch die entgegen-
tengrün; seine nüchterne Rechnerseele gerät in gesetzte kurieren. Aber auf die Dauer befriedigt
Schwung vor einemnoch nicht in Gußeisenröhren ihn bloße Natur so wenig wie ausschließliche Zivili-
gesperrten Bergbach, und sie überwallt im durch- sation. Die Felsen der Pyrenäen oder die korsische
goldeten Frühlingswald. Macchia oder der indische Urwald haben auf die

Noch nie wurde der Leib der Erde so jämmer- Dauer etwas Befremdendes, fast Feindseliges an

lieh geschändet und dabei so leidenschaftlich ge- sich. Wer möchte beständig ein Stück solcher

liebt wie in unserer Zeit. SechsTage in der Woche wilder Urnatur vor seiner Haustüre haben?

kann sich der Moderne nicht genug tun im Ver- Ganz daheim kann er sich auf die Dauer nur

stümmeln der Natur, am siebenten nicht genug in einer Landschaft fühlen, wo Natur und Geist

in ihrer Vergötterung. Weil er die Gegensätze eins geworden sind. Und diese landschaftliche

von Geist und Natur in sich nicht versöhnen kann, Einswerdung existiert, wenigstens in kleinen

wirft ihn ihr Widerstreit in jähem Wechsel von Formaten. Es gibt Erdenflecke, wo der Raum von

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