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Die Gartenkunst — 33.1920

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Der Kulturmensch in seinem Verhältnis zum Garten
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https://doi.org/10.11588/diglit.20812#0091

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Besitzung Dr. Kr., Alsbadi a. d. Bergstraße.

Blick durch den Laubengang an der Nordseite des Blumengartens nach dem ummauerten Aussichtsplatz.

Gartenarchitekt F. Wirtz, Frankfurt a. M. und Heidelberg-Sdilierbach.

Menschengeist gestaltet und die Vegetation durch baustümper verhunzen; mit oder ohne dessen

Menschenkunst veredelt, dennoch ihre Natürlich- Erlaubnis rieselt der Sonnenschein in goldenen

keit gewahrt haben. Diese Kulturplätze heißen Kaskaden von Zweig zu Zweig und lodert der

Gärten. blauflammende Himmel über grüngoldenenBaum-

In wohlangelegten Gärten vergißt der aus kuppeln. Und das Lebendige im Garten, das
zwei Elementen gebildete Mensch seine innere Pflanzenmaterial ist in seiner urwüchsigen Art
Gegensätzlichkeit. Er erlebt sich als Einheit, als stärker als Gärtnerunvernunfl Mag es von gott-
wirklicher Kulturmensch. Seine Innenwelt fühlt verlassener Menschenhand mißzüchtet, sinnlos
sich nicht nur bruchstückweise, sondern in ihrem angeordnet und zuschanden geschnitten werden,
lebendigen Ganzen von der Außenwelt ange- die urwüchsige Natur oder die zur zweiten Natur
sprochen und ergänzt. Gemeinsam erschufen Natur gewordene alte Kultur stößt an allen Ecken sieg-
und Menschengeist Rosenrabatten, Geranium- reich durch. Wie sollte selbst der aktivste Un-
beete und Pfirsichspaliere; diese gemeinsame geschmack der Schönheit der einzelnen Blumen
Schöpfung genießen wir mit den Sinnen als ver- und Schosse und Blätter etwas anhaben können?
geistigte Natur, mit der Seele als Natur gewor- Sogar ein mit Ausdauer verbildeter Garten bietet
denen Geist. Das Kräfteverhältnis zwischen Natur- immer noch entzückende Einzelheiten, und ein
leistung und Menschenleistung wechselt selbst- verwahrloster gar, ein verwildernder ist voller
verständlich von Garten zu Garten. Das Pflanz- intimem Reiz. Auf halbverwachsenen Wegen
gärtchen eines Fabrikarbeiters und ein englischer schlendernd, empfinden wir mit lustvollem Weh
Park wirken verschieden. Aber ganz ohne Wohl- und wehevoller Lust die Eintagsherrlichkeit der
gefallen schaute ich noch nie über einen Garten- Kultur gegenüber der Ewigkeitsdauer der Natur,
zäun. So total unmögliche Gärten, wie es un- Gärten gehörten von jeher zur Ausrüstung
mögliche Häuser gibt, traf ich nie. eines Kulturvolkes. Assyrische Keilinschriften

Sonst sind die bildsamen RohstofFe der ge- berichten von riesenhaften Gartenterrassen bei

staltungsgierigenMenschenhand meist auf Gnade Babylon, die Grabkammern von Memphis über-

und Ungnade ausgeliefert; und da es so viele liefern in farbigen Bildern ägyptische Anlagen,

unpraktische und unkünstlerische Hände gibt, so Aus der Renaissancezeit sind noch sehnsuchts-

kommt auf ein wohlgeratenes Stück der mensch- erweckende Gartenruinen vorhanden, und die

liehen Ausstattung meist ein Dutzend Abge- weiten Gartenfluchten des Barocks und die mar-

schmacktheiten. Das Rohmaterial des Garten- morblinkenden Lustgärten des Rokokos sind uns

bauers zeigt mehr Widerstandskraft: die frische Neuzeitigen noch beglückendes Erlebnis und nicht

Luft und den Blick ins Freie kann kein Garten- bloß papierner Begriff. War in früheren, mehr

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