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Die Gartenkunst — 33.1920

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Heicke, C.: Der Siedlergarten eine Kulturangelegenheit
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https://doi.org/10.11588/diglit.20812#0111

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senen Bäumen immer fester mit seinem Garten-
pargdies verwächst.

Mit den einfachen Formen gut in Schnitt ge-
haltener Spindeln und Pyramiden, senkrechter
und wagrechter Schnurbäumchen, aus U-Formen
u. dgl. gebildeten Spalierwänden, Bogen- und
Laubengängen lassen sich solche kleine Gärten
förmlich erbauen, sie nehmen wenig Platz ein,
sperren das Sonnenlicht nicht ab, rahmen den
Garten und seine Teile wirkungsvoll ein u. a. m.
(Abb. S. 103, 104 u. 106). Ihre Verwendung zur
Bekleidung der Hausmauern erwähnte ich schon.

Wir haben kaum ein besseres Mittel, den
Siedlergarten zu einer wirtschaftlich restlos aus-
genützten und zugleich räumlich gut gegliederten
Stätte regsamer Schaffenslust und beschaulicher
Versenkung in die Natur zu machen, als den
Formobstbaum, dem menschlicher Gestaltungs-
trieb die geeignete Zweckform gegeben hat, um
den zu erwartenden Ertrag in vollkommener Be-
schaffenheit bei geringster Raum- und Zeitbean-
spruchung zu liefern und zugleich das Schönheits-
gefühl in hohem Maße zu befriedigen. DerForm-
obstbaum entspricht dem Sinn des
Siedlergartens, Erzielung von Schön-
heit und Ertrag mit geringsten Mitteln
auf beschränktem Raum, so sehr, daß
er erfunden werden müßte, wenn wir
ihn noch nicht hätten.

Ohne Garten Keine wahre Kultur!

Noch manches ließe sich anführen, was dazu
beiträgt, den Garten zu dem zu machen, was er
dem Siedler sein soll und was wir vom schönen
Siedlergarten erhoffen.

Man braucht nicht die gefürchtete hohe Kunst
zu Hilfe zu holen, seine Schönheit läßt sich von
innen heraus und ohne fremde Zutaten ent-
wickeln. An der Erziehung der Siedler
ist alles gelegen.

Sie brauchen nicht nur ein Stück Land am
Hause zur Gewinnung eines Teils ihres Nahrungs-
bedarfes. Gewiß, das auch! Aber darüber hinaus
sehnt sich ihr Herz nach einem Heim, das das bis-
her freudlose Arbeitsdasein mit sonniger Schön-
heit erfüllt, den Kindern zum Schauplatz einer
erlebnisfrohen Jugend wird, die Erwachsenen in
gesunder Beschäftigung und beschaulicher Feier-
stunde das seelische Gleichgewicht gegenüber
der abstumpfenden Berufsarbeit gewinnen läßt;
sie fühlen, oft unbewußt, daß das Heimmit
Garten inWahrheiterstdie Grundlage
eines menschenwürdigen Daseins schafft.

Dies Gefühl bildet den Punkt, wo angesetzt
werden muß, um die dem Garten entfremdete
Menschheit wieder für den Garten zu erziehen.

Hochsteigerung des Ertrags durch neuzeit-
liche Erfahrungen und Einrichtungen muß die
wirtschaftliche Voraussetzung, die Schönheit des
in Vergessenheit geratenen Gartens der Groß-

R Stegmiller, Frankfurt a. M.: Siedlergärten mit
Verwendung von Formobstbäumen.

väterzeit für die Gartenform das Vorbild, Wieder-
erweckung des auf eigenes Schaffen sich grün-
denden Gartenlebens das Ziel unserer Bestre-
bungen im Siedlungswesen bilden.

Gartenkultur in diesem Sinne bereitet den
Boden für Schaffenslust und Zufriedenheit, Fa-
miliensinn und Gemeinschaftsgefühl.

Aber noch viel mehr: Wer im Garten bei
Arbeit und geistigem Erleben wieder zum emp-
fänglichen Menschen wurde und den Zusammen-
hang mit der Natur zurückgewann, ist reif
geworden für höhere Kultur.

Man denke an den Kampf, der seit Jahren
gegen die Unkultur in unserem Volke geführt
wird. Künstler erschöpfen sich im Erfinden guten
Hausrates, das Volk wird überfüttert mit Vor-
lesungen und Aufklärung. Und das Ergebnis?
Je mehr auf die Schichten eingewirkt wird, um
die es sich handelt, um so zäher klammern sie
sich an ihren bisherigen Besitz fest. Alle Mittel
der Belehrung und des Beispiels haben nicht
vermocht, sie von dem öden Materialismus des
Großstatdlebens, der Sucht nach nichtigen Ver-
gnügungen loszubekommen.

Erst das Gartenleben, die Gartenliebe, zu der
wir sie erziehen wollen, wird sie befreien von
ihrem Hang an Tand und wertlosem Plunder,
mit dem eine naturentfremdete Zivilisation sie
umgibt.

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