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erst hat der Künstler ein grosses figurenreiches Historienbild „Die Erstürmung des rothen Thurmes
in München durch die Oberländer Bauern unter Führung des Schmied's von Kochel in der Weihnachts-
nacht 170s" geschaffen, welches in den Besitz der Münchener Neuen Pinakothek (Nr.i58a) übergegangen
ist und in dieser, an wirklich bedeutenden Gemälden ziemlich armen Galerie einen Ehrenplatz einnimmt.
Die Richtung, welche Defregger's grössere Arbeiten aus der neuesten Zeit verfolgen, gibt der Annahme
Grund, dass er das Feld der reinen Historienmalerei auch in Zukunft nicht unangebaut lassen werde.
Unsere Gesellschaft hat eine günstige Gelegenheit, ihren Mitgliedern wieder einmal Werke des
Dölsacher Meisters vorzuführen, mit lebhaftem Vergnügen ergriffen. Wohl gehören sie nicht zu seinen
bedeutendsten Arbeiten, sondern zu jenen, die er, mit den angeführten grossen Gemälden beschäftigt,
nur nebenher, sozusagen in den Mussestunden, zu schaffen pssegte ; allein die Feinheit der Beobachtung,
die Prägnanz der Charakteristik und der ungebrochene, aus einer harmonisch veranlagten, das Böse
und Gemeine kaum ahnenden Natur erquickend ausströmende Humor, wodurch alle Schöpfungen
Defregger's ausgezeichnet sind, treten auch in unseren Bildchen voll zu Tage. Wir wissen nicht, welche
der beiden drallen Dirnen der Brief vom „Schatz" angeht, ob die lesende, an deren Gurt die Insignien
ihres in Tirol nicht gar so einssusslosen Amtes als Kellnerin hängen, oder die andere, die über die
Schultern der Vorleserin in das mit einer sauber gemalten Vignette verzierte Blatt hineinguckt, so sehr
scheinen sich beide Mädchen an dem naiven Inhalte des Briefes gleichmässig zu erfreuen: allein aus
den herzlich lachenden hübschen Gesichtern der beiden frischen jungen Geschöpfe sprechen ein so reines
Gemüth, eine so bezaubernde Natürlichkeit, dass man unwillkürlich den Eindruck mit empfindet, wrelchen
der Brief an die „herzliebste Gret'l" ofsenbar auf beide Mädchen macht. So viel Humor und Lebensfreude
stecken in diesem Bilde, dass man um deren Besitz den Urheber desselben ebenso sehr beneiden möchte,
wie um seine Kunst. Ein Meisterstück an feiner Beobachtung und treuer Wiedergabe des Gesehenen,
ist unsere Porträtskizze, welche Dcfrep'oer nach seinem eigenen Kinde während einiger ssüchtiger
Momente für sich notirt hat. Es ist ein heisser Sommer-Nachmittag — wir lesen das Datum des
29. Juni 1877 — und das prächtig entwickelte Bübchen ist nach Tisch in einen gesunden Kinderschlaf
verfallen: man glaubt förmlich die kräftigen, regelmässigen Athemzüge durch die halbgeöfsneten
vollen Lippen ausströmen zu hören.......
Mit unseren Blättern führt sich der Maler Ludwig Kühn zum ersten Male als Stecher in die Öffent-
lichkeit ein. Am 15. April 1859 zu Nürnberg als Sohn eines Buchhalters geboren, musste er, seiner
Mittellosigkeit wegen, nach beendigtem Schulunterrichte von seinem Vorhaben, die Nürnberger Kunst-
schule zu besuchen, abstehen und sich durch fünf Jahre in einer lithographischen Anstalt verwenden. Erst
im Mai 1878 gelang es ihm an die Münchener Kunstacademie zu kommen. Professor Raab, dessen
Naturzeichnenclasse er als angehender Maler besuchte, leitete ihn zum Radiren an, um dem auf sich
selbst angewiesenen Kunstjünger einen Erwerb zuwenden zu können und dieser handhabt die Nadel auch
seit der Zeit, da er in die Malerschule des Professors Loffts übertrat. Ausser den von uns publicirten
Blättern nach Defregger liegt uns eine recht hubsche Original-Radirung vor, die eine italienische
Genrescene darstellt und vermöge ihrer gewandten und sorgfältigen Darsteilung hosfen lässt, dass Kühn
in Zukunft nicht nur als reproducirender, sondern auch als selbst schaffender Künstler mit Vorliebe und
Ersolg von der Radirnadel Gebrauch machen werde.

Oskar Berggruen.
 
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