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Leibl ist wiederholt mit Courbet zusammengcstellt worden. Dass daraus unzutreffende Con-
sequenzen gezogen werden können, haben wir gesehen, doch ist der Vergleich zwischen beiden
Künstlern an sich nicht lb gar aus der Luft gegriffen. Denn in der That haben beide in ihrer
vollständigen Abwendung von allem Conventionellen und in der objekiven Treue ihrer Natur-
anlchauung Vieles gemein. Doch geht Leibl in der Durchbildung der Einzelformen manchmal
weiter, als Courbet: man könnte ihn da eher mit Bastien-Lepage in eine Linie Hellen, obwohl auch
dieser Vergleich nur ein halber ist, denn im Colorit gehört Leibl doch einer ganz anderen Richtung an,
als Bastien: er will vom plein-air nicht viel wisfen; die unbefangene Freude am Colorit als solchem
ist bei ihm viel zu gross, als dass er nicht seine Palette mit allen Farben ausstatten sollte, welche
das Handwerk zur Verfügung stellt, und welche ja doch auch schliesslich die Natur selber enthält.
Wir glauben, im Vorangehenden gesagt zu haben, was zur ästhetischen Würdigung Leibls
dient. Doch möchten wir die hier versuchte Darstellung seiner künstlerischen Persönlichkeit nicht
abschliessen, ohne einem weiteren Gedanken Raum zu geben. Das Lebenswerk eines Künstlers
kann man isolirt für sich betrachten, zugleich ilt es aber auch als ein Theil eines grösseren
geschichtlichen Ganzen anzusehen, in dessen Entwicklung es hineingehört. Die Bedeutung der
einzelnen Persönlichkeit ist nicht davon abhängig, welche Rolle ihr in diesem Zusammenhange
angewiesen ist; der geschichtliche Name allein bürgt nicht für ihren Werth. Aber wenn wir ihr von
uns aus geschichtliche Bedeutung beilegen, so thun wir das doch im Sinne eines besonderen
Vorzuges, den wir damit für sie in Anspruch nehmen. Sie verdient, wie wir meinen, diesen Vorzug,
wenn es ihr gelungen ist, dem Geist ihrer Zeit in freier und originaler Fassung Ausdruck zu
verleihen, Leben von ihm empfangend, aber auch an ihn Leben zurück gebend. Was Leibl betrifft,
denken wir, dass wir nicht im Unrecht sind, wenn wir ihn zu denen rechnen, die so im vollen Sinn
des Wortes als geschichtliche Persönlichkeiten zu bezeichnen sind.
Heinrich Weizsäcker.
 
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