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dass es uns sall Wunder nimmt, wie es als Adelstitel gelten mag, »Schüler Rops'« zu heilsen
Es ist die Eigenart dieies Künstlers, sür einige wenige feinfinnige und fchwer zu besriedigende
Kunftkenaer in Frankreich und Belgien zu arbeiten und sleh um die Anerkennung und Bewunderung
des grossen Publicums wenig zu kümmern. Auch osflcielle Auszeichnungen, den Prosefsorentitel
und sonftige Huldigungen hat er bisher verschmäht. Ganz unbekannt blieb er indefs auch uns nicht-
in Österreich und Deutfchland find in letzterer Zeit einige seiner Blätter ausgestellt gewesen die
lebhastes Intcresse erwecken mussten. Gerade diese Arbeiten lafsen aber die Frage um so berechtigter
erscheinen, wie diefer kühne, ja verwegene Poet der Sinnlichkeit und Wollust aus einen Künstler
Einsluss nehmen konnte, der ausfchliesslich Landschasts- und Marinemaler ist. Dielen merkwürdigen
Zusammenhang wollen wir vor allem klarftellen.

Carl Storni van 'sGravesande hat sich gegenwärtig sür einige Jahre in Wiesbaden niedergelasfen.
Er wurde 1841 in Breda (Holland) geboren, einer Stadt, die bereits zweimal, durch Velasquez und
Callot, sür die Kunftgeschichte bedeutsam geworden. Nach der in den Niederlanden bei jungen Leuten
aus guter Familie noch heute herrschenden Sitte absolvirte er das Jus, bevor er lieh einem
bestimmten Berufe zuwandte. So sorderte es der gute Ton, und Storm oblag von 1858 bis 1865
an der Universität Leyden mit vielem Ernft seinen Studien. Sowie er aber sein Doclordiplom in der
Tasche hatte, sagte er den juridifchen Disciplinen Lebewohl und verlegte fich so recht nach
Herzenslust aufs Zeichnen und auss Pinseln.
Von 1868 an erfafste ihn aber der künftlerische Beruf mit Macht; der junge Mann erkannte
die Nothwendigkeit, nach der eingefchlagenen Richtung ernstere und eingehendere Studien zu
machen, und begab sich zu diesem Zweck nach Brüfsel, sest entfchlosscn, seine Zeit nicht zu verlieren.
Hier empsindet er aber immer wieder einen unüberwindlichen Widerwillen bei der Vorstellung, sich
in diefem oder jenem Atelier einzuschliessen, irgend einer bestimmten Malweise zuzuschwören. Mit
seinem Instin6te bewahrt er fich seine Unbefangenheit und Freizügigkeit, indem er nur jene Beispiele
und Rathschläge in sich ausnimmt, die mit seiner eigenen Empsindung übereinstimmen, unbekümmert,
wie grundverschieden sie auch sein und von welchem Meifter sie herstammen mochten. Aus diese
Weise bewahrt er sich den ganzen zarten und jugendlichen Hauch einer unzerftörten Originalität,
welche die fpäter erworbene unsehlbare Kenntniss der Technik zur Geltung bringen sollte, ohne
aber — und das kommt seiten vor — die spontane Frifche und den Schwung des erften Entwurses
zu beeinträchtigen.
In diesem Augenblicke greift Felicien Rops bestimmend in die künstlerifche Entwicklung Storms
ein. Rops lebte damals ebenfalls in Brüsfel. Er tras Storm gelegentlich einer Künstlerfoiree bei Alma
Tadema. In der knappen Form und ungewöhnlichen Tresfficherheit des Urtheils, mit der dieser
berühmte Künftler einen originellen Gedanken hinzuwerfen pflegt, fagte er nach längerer Conver-
sation zu Storm: »Sie Tollten Radirer werden.« -- »Davon verftehe ich ganz und gar nichts,«
erwiderte Storm. — »Ein Grund mehr, da werden Sie es nur umso besser trefsen.« Zwei Tage später
empsing der Meifter seinen künftigen Schüler bei fich im Atelier, und durch drei Stunden redete er
vom Zeichnen, Radiren, Lithographiren und fo weiter, ösfnete feine Mappen, zeigte ihm alle Kunft-
griffe, alle Knifse der Technik und beendete feine Demonftration mit den Worten: »Kennen mufs
man fie alle, anwenden aber nie, denn es gibt nur zwei Verfahren, die vonWerth find, und das find
die einfache, ehrliche Atzung und die kalte Nadel«.
 
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