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mann einen nackten Bettler, der ihn um eine Gabe
anfleht. Rasch entschlossen zu helfen, theilt der
mitleidige Held seinen Mantel mit dem Schwerte
und reicht die Hälfte dem Armen dar. Diesen
Vorgang schildert uns der Künstler lebensvoll in
einer weiten, waldumsäumten Winterlandschaft.
Die Sonne wirft scharfe Schatten über den
gefrornen Schnee und aus dem Thale grüsst eine
Burg herüber.
_ Bei Set. Hubertus hat der Künstler auf die
Erzählung der eigentlichen Legende mit dem
weissen Hirsch und dem Crucifix zwischen den
Geweihen verzichtet. Er wollte einfach und schlicht
einen Mann schildern, dessen Gebetbuch die Natur,
dessen Kirche der Wald ist. Auf starkem Jagd-
pferde von den treuen Hunden begleitet reitet der
Heilige durch den dunkeln Tann, weisse Wolken
stehen goldumsäumt am Abendhimmel. Sieghaft
sitzt er zu Rosse, schlank, stark, ein Herr des
Waldes. — An diesem Blatte aus dem Cyclus der
vier Legenden ist die decorative Wirkung, die
Vertheilung der Flecken und die Strenge der Zeichnung besonders hervorzuheben.

Die anderen beiden Legenden, Scta. Margaretha und Scta. Genovefa, die wir nicht gebracht
haben, sind vielleicht manchem bekannt.

Auf einer weissen Insel sitzt Margaretha und der gezähmte Drache schmiegt sich an sie, ein
scheusslich Unthier. Weit hinaus sieht man in ein flaches Stromland. Ein Zug Reiter kommt vom
Strome herauf; die ersten halten an und falten die Hände, da sie das Mirakel sehen. — In Genovefa
schildert uns der Künstler ein mütterlich Weib in den Anblick ihres holden Knaben versunken.
Dunkler Wald schliesst den Horizont, goldbelaubte Birken, fallendes Laub und vielhundert blasse
Zeitlosen auf der Waldwiese zaubern uns eine liebliche Herbststimmung hervor.

Die Legenden waren unseres Künstlers Anfang. Im »Gestiefelten Kater« hat er einen Schritt
vorwärts gethan. Er ist in der Farbe weiter gegangen und hat die Strenge des Stiles, die leicht
zur Überstilisirung führt, gemildert.

Die schlichte Weise zu erzählen, die Art, wie er uns einen wundersamen und märchenhaften
Stoff als möglich und menschlich vor die Augen bringt, die Fülle von Poesie, jedoch frei von
papierner Romantik und süsslicher Gefühlsduselei, lässt uns Liebenwein als Erzähler schätzen
lernen. Manchmal weiss er auch liebenswürdigen oder grimmigen Humor zu entfalten, wozu ihm
das deutsche Märchen ein reicher Fundort ist.

Die alte Herzogstadt Burghausen mit ihrer thalbeherrschenden vielthürmigen Burg auf der
Höhe, mit dem Wald im Norden und der schneeblanken Alpenpracht im Süden, mag viel dazu
beigetragen haben, die starke Eigenart unseres Malers noch zu festigen und zu schärfen; denn
dort oben nistet er in einem Thurme, von Dohlen umflogen, von Falken umkreist und hat sich ein
vergnüglich Heim geschaffen. Dort mag er träumen, sinnen von deutscher Märe.

C. Stechele.
 
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