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und wer mit der Hand schafft, sucht Hilfsmittel, die sie beschleunigen und die Arbeit erleichtern —
auf Kosten ihrer Vorzüge. . . .

Trotz alldem sind diese neuen japanischen Farbenholzschnitte noch vielen farbigen Kunst-
blättern, die bei uns hergestellt werden, vorzuziehen, es lebt immer noch ein Theil Kunst darin.
Die Yertheilung, das Teppichartige, die Originalität der japanischen Composition sind ein Erbe,
das nicht so schnell verprasst werden kann. So sieht man heute noch in den Läden zu Tokio und
Kyoto neue Blätter, die überaus reizvoll in der Erfindung, in Farbenholzschnitt wiedergegeben
sind; Blumenstücke, Schauspielerbildnisse, Kriegsbilder etc. In der Malerei wird ja heute in Japan
noch gar vieles geschaffen, was zwar eklektisch, aber für den Freund impressionistischer Kunst
schätzenswert ist. Unzweifelhaft ist der Farbenholzschnitt ein ausgezeichnetes Mittel zur Wieder-
gabe der mit leichter Hand hingeworfenen japanischen Skizzen: als solches wird er noch lange
Zeit gute Dienste leisten, obwohl in den grösseren Städten die Lithographie und die mechanischen
Reproductionsverfahren immer grössere Verbreitung finden. Aber jene originale Kunst: Farben-
holzschnitte zu schaffen, die als solche erfunden und empfunden sind, Werke, die durch ihr
Entstehen das Original zu nichte machen: diese Kunst gibt es nicht mehr in Japan. Ein echter
japanischer Farbenholzschnitt ist wie ein Kind, das dem Sterben seiner Mutter das Leben dankt.*

*

Diese seltsame, köstliche graphische Kunst ist wert, erhalten zubleiben. Geradein unserer Zeit,
wo die mechanischen Reproductionsverfahren ein immer grösseres Spielfeld umfassen und drüben
in Japan langsam die schöne Kunst des Farbenschnittes ersterben machen, ist es an uns, das
Bedürfnis nach handschriftlicher Graphik zu erhalten, oder besser gesagt, zu steigern. Wir können
ruhig auf diesen Tausch eingehen. Ein qui pro quo gar feiner Art. Abgesehen davon, dass ein
ästhetisches Moment darin liegt, ein graphisches Werk von a bis w nur mit der Hand fertigzustellen,
ist der künstlerische Reiz dieser Technik ein so hoher, dass es sich wahrlich verlohnt, ihr bei
uns ein Heim zu geben. Hat man die praktischen Handgriffe einmal kennen gelernt, so wird diese
Technik in ihrer einfachen Wesenheit ein wundersames Werkzeug graphischer Kunstübung.

Denn in ihr finden wir eine Kunst, welche den Bestrebungen der Guten in unserer Zeit ent-
gegenkommt: einfach zu sein! Das Einfache in höchstem Masse entwickelt und verfeinert in
seiner — Einfachheit!

Berlin, am 26. October 1901. Emil Orlik.

•Bekanntlich wird die mit Tusche auf dünnem durchsichtigen Pflanzenpapier gemalte originale Contour des Künstlers mit der Bild-
seite auf die Kirschholzplatte geklebt und mit zerschnitten.
 
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