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Es liegt dieser Arbeit in ihrer reifen Symbolik ein tief germanischer Zug zugrunde. Um noch
eine bessere Idee zu geben von der grossen Bedeutung, welche die Kinder in der Frederic'schen
Schöpfung einnehmen, will ich noch eine andere Arbeit erwähnen, den »Waldbach«. Hier spielen
nur Kinder und wieder Kinder eine Rolle! Dieses entzückende Bild wurde dem Meister haupt-
sächlich eingegeben von einem Beethoven'sehen Tonstücke.

In dem tausendfältigen Spiele des Lichtes, zwischen den Ästen und Stämmen der hohen
Bäume, wo der Tag sanft dahinstirbt zwischen leicht säuselnden Blättern, hat der Künstler den
»Waldbach« dargestellt,' wie eine ganze Schar fröhlich spielender Kinder. Kinder bilden den
Strom, Kinder bilden die Wellen! Unter dem lachenden, sonnigen Grün der Bäume ist es ein Lachen
und Wimmeln, Jauchzen und Drängen von schwarzen, blonden, braunen und fuchsfärbigen Köpfchen,
die sich wollüstig auf den Wellen wiegen. Und wie diese höher brausen, höher steigen, weisser
schäumen, wird auch die kleine Gesellschaft munterer, ausgelassener, ihr Spiel lebhafter und fröhlicher.
Und diese Kinder selber, sie bilden den Bach, den Bach in all seiner jungfräulichen Frische
und Reine, in all seinem Übermuth und jugendlichen Überfluss, in all seiner kerngesunden
Lebenslust! So hoch ist der poetische Wert dieser Arbeit, dass man darüber gerne einige kleine
Fehler übersieht, zum Beispiel die zu dunkeln Felsen, das zu wenig durchsichtige Wasser und
gar manches anatomische Gebrechen.

Noch in einer ganzen Anzahl seiner Werke — um von seinen Porträten gar nicht zu
sprechen, unter denen es herrliche gibt — spielt das Kind die wichtigste Rolle. So z. B. in der
sonst weniger gelungenen Arbeit »Einst wird es tagen für das Volk«, wo sie in den zwei
Seitenstücken des Triptychons einmal als Märtyrer, einmal als Verherrlichte gestellt worden sind,
und so auch noch in dem erwähnten Cyclus »Die Natur«.

Erdichtete, nicht verdichtete Wahrheit ist es, die der Meister darstellt in seinem Triptychon:
»Einst wird es tagen für das Volk«. Das Hauptblatt zeigt den bemitleidenswerten Zustand
des Proletariats in einer Menge verarmter, ausgemergelter Unglücklichen jeden Alters, welche sich
abquälen, eine steile Felsenwand zu erklimmen. Das Gemälde hat grosse Mängel in Zeichnung und
Farbe, einigen Köpfen scheint der Rumpf zu fehlen, andere scheinen aus dem Boden zu wachsen.
Doch das innige Gefühl von Menschlichkeit, dass über das Ganze verbreitet ist, versöhnt uns
gänzlich mit diesen Fehlern. Der linke Flügel zeigt die Ausbeutung der Kinder durch das Capital;
zwei arme Kinder arbeiten sich ab bis aufs Blut, um sich von Ranken und Dornen zu befreien,
die ihnen den Weg versperren. Auf dem rechten Flügel aber eilen, inmitten einer blühenden
Phantasielandschaft, vier weissgekleidete, mit Blumen bekränzte junge Mädchen der in Gold und
Silber aufgehenden Sonne entgegen.

* -X-

*

Unmöglich würde es sein, alle Arbeiten dieses äusserst fruchtbaren Künstlers hier einzeln
zu besprechen. Seine Landschaften, deren eine grosse Anzahl äusserst merkwürdig sind, seine
Porträte, zum Theil Werke allerersten Ranges, und sogar verschiedene Gemälde in grösseren
Dimensionen, wie die »Lumpensammlerin« u. a. bin ich der Kürze wegen wohl genöthigt, bei-
seite zu lassen.

Der Meister, der jetzt auf der Mittagshöhe seines Talentes steht, arbeitet zur Zeit an dem
Carton für ein Gemälde von ausserordentlicher Grösse (5:6 in), das bei ihm von der Stadt
Brüssel für ihr herrliches Rathhaus bestellt wurde und das den »Aufzug der Conscribirten«
vorstellen soll.

Pol de Mont.
 
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