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Auch sie, scheinbar so disparat in ihren Einzelerscheinungen, hat einige tiefere Töne, welche
für ein feineres Ohr vernehmbar erklingen, bei allen jenen Künstlern zugleich: hohen Ernst der Auf-
fassung, gefühlvolles Seelenleben, echtes Mitfühlen und vor allem ein eigenartiges Zusammen- oder
doch Nebeneinanderklingen von offenherziger Heiterkeit und leiser, gedämpfter Melancholie. Und
noch Eines. Unumwundener Realisten gibt es unter ihnen doch nur wenige. Die meisten berühren
die schwere Erde nur, um in idealistischer Sehnsucht alles Gesehene und Erlebte in höhere Münze

umzuprägen, magdiese
Münze dann das eine-
mal die Züge der ver-
gangenen Zeiten oder
der modernsten Ideali-
tät tragen.

Auch Felix Jene-
wein erscheint beim
ersten Anblick seiner
auffallend strengen und
herben Gebilde, mit
seinen kräftig betonten
Linien, mit seiner
knappen Darstellungs-
weise ein in jener
bunten Menge ganz
und gar isolirter Mann
zu sein. Nicht einmal
mit unseren Stilisten
geht er die gleichen
Wege, und A. Mucha
in seiner sammtartigen
Weichheit und Grazie
bildet zu ihm einen
merklichen Gegensatz,
ebenso wie der sinn-
lichfrohe geschmeidige
Zeichner F. Zenicek.
Er hat auch seine spe-
cielle Eigenart, seine

Felix Jenewein, »Martyrium des hl. Jacobus major«
Nach der Originalzeichnung.

starrsinnige Einsam-
keit und fast asketische
Bitterkeit lange zu
büssen gehabt, und
wird einmal die intime
Geschichte seines Le-
bens geschrieben, so
wird sie eine Leidens-
geschichte sein. Die
äussere ist kurz und
einfach, ja nachgerade
überraschend klar.

Felix Jenewein ist
in der alten Bergwerk-
stadt Kuttenberg am
4. August 1857 ge-
boren, und die ersten
Eindrücke, die er als
Kind und Knabe em-
pfieng, waren die des
stumpfen, gleichmässig
dahinfliessenden pro-
saischen Lebens einer

spiessbürgerlichen
Kleinstadt inmitten der
stummen Zeugen einer
abgestorbenen Herr-
lichkeit und grossen
Vergangenheit. Ein
fühlendes Herz wird

leicht in solcher Umgebung mit Wehmuth genährt, ein zart vibrirendes Gefühl melancholisch
gestimmt. F. Jenewein besass und besitzt beide. Die graue Wirklichkeit empfindet er wie einen
hindernden Schleier, der ihm den Ausblick in die Vergangenheit beeinträchtigt und zugleich ihren
Inhalt um so bedeutsamer und grossartiger durchscheinen lässt. Von den Ausflügen in die Ver-
gangenheit des Landes und der Menschheit zu der tagtäglichen Wirklichkeit zurückgekehrt, erblickt
Jenewein die Gegenwart von Elend und Schmerz erfüllt und selbst unter dem rosigen Ton der
Lebensfreude, die ihm nur gar zu selten beschieden war, die ewig ätzende Bitternis des Loses
des Erdengeschlechtes. Schon in den akademischen Schularbeiten Jeneweins, welche durch ihren
 
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