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Vor dreissig, vierzig Jahren lagen die Dinge wesentlich anders.

Der Kunst wirklich theilhaftig war nur ein kleiner Kreis. Ausserhalb der eigentlichen Centren
künstlerischer Arbeit und künstlerischer Hinterlassenschaft suchten vorwiegend Vereine, meist mit
unzureichenden Mitteln und veralteten Statuten, eine Art Kunstverallgemeinerung herbeizuführen,
deren Ziel nicht eben hoch gesteckt war. Die Kunstvereine, einst in den Zeiten lauer Kunst-
begeisterung nöthig und geachtet, hatten sich allgemach überlebt, und nicht selten haben sie
den lebendigen Zusammenhang mit der grossen Kunstbewegung unserer Tage verfehlt oder
gemieden. Sie gehörten und gehören zumeist noch zu den vorwiegend rückständigen Instituten
bürgerlicher Cultur, die einer energischen Aufmunterung bedürfen.

Um die Siebziger Jahre des verflossenen Jahrhunderts war der alte, 1830 gegründete Wiener
Verein zur Beförderung der bildenden Künste dem Absterben nahe. Da übernahm es Leopold von
Wies er, damals Hofrath am gemeinsamen obersten Rechnungshofe, ihm einen neuen wirklich
gemeinnützigen Wirkungskreis zu geben. Wieser gieng dabei von dem Gesichtspunkte aus, dass
die Veranstaltung von Kunstausstellungen und was damit zusammenhängt — die Vergebung von
Aufträgen, der Verkauf von Kunstwerken — nicht mehr Sache eines Vereins sein könne, da die
Künstlerschaft selbst und der Kunsthandel sich dieser praktischen Aufgaben in zweckmässiger
Weise angenommen hatten. Weit vorausblickend fasste Wieser das Ziel höher, indem er nach-
drücklich auf die Verallgemeinerung des Sinnes und des Verständnisses für die Kunst durch die
Pflege der Reproduction als einer Kunst hinwies und so der neuen Vereinigung von Künstlern und
Kunstfreunden eine würdige Aufgabe stellte.

Mit dieser grossen Aufgabe trat 1871 in Wien die Gesellschaft für vervielfältigende Kunst in
die Welt. Die höchste Förderung wurde der Gesellschaft zutheil und in den Kreisen der Künstler,
der österreichischen wie der auswärtigen, galt es für eine Ehre, mitzuwirken an einem Unternehmen
von so vornehmer Anlage und von so weitreichendem Einfluss. Mit welchem Erfolge die
Gesellschaft für vervielfältigende Kunst eine glänzende Reihe hervorragender, nach Form und Gehalt
mustergiltiger Werke herausgegeben hat — das braucht an dieser Stelle nicht weitläufig erzählt
zu werden. Während um die Gesellschaft her, und nicht zum wenigsten auch durch sie selbst an-
gefacht, der Wetteifer um künstlerische und technische Vollendung im Reproductionswesen eine
mächtige Entwicklung der graphischen Verfahren herbeiführte, blieb doch die Gesellschaft selbst
an erster Stelle und fand in der ganzen Welt verdiente Anerkennung.

Wenn aber hier davon abgesehen wird, die mannigfachen Verdienste und Erfolge der Wiener
Gesellschaft aufzuzählen, so soll und muss um so nachdrücklicher hervorgehoben werden, dass die
Gesellschaft für vervielfältigende Kunst das Werk Wiesers gewesen ist. Seiner warmblütigen Freude
an der Kunst, seiner Begeisterung für das Ideale, seinem weiten Blicke und seiner starken Energie
dankt die Gesellschaft für vervielfältigende Kunst ihr Glück und ihren Ruf.

Wiesers Liebe zur Kunst, von Jugend auf durch mannigfache Anschauung genährt, war eben
so echt und natürlich wie die Güte und Freundlichkeit seines Herzens. Aus diesem Bunde erwuchs
ihm die Kraft einer starken Überzeugung, eines Muthes und einer Energie, die keine Schwierig-
keiten kannte und die ihn im Verfolg klar erkannter Ziele niemals in seinem thatenreichen Leben
verlassen hat.

Mit dem Austritt aus einer glänzenden Laufbahn im staatlichen Dienste war die Gesellschaft
für vervielfältigende Kunst, seine Gesellschaft, die Sorge und die Freude seines Lebens
geworden.
 
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