Mit elf Jahren entgeht er einer entscheidenden Lebensgefahr. Als Nachwirkung einer Diphtherie
bekommt er den grauen Staar. Er ist nahe am Erblinden. Durch der Mutter vernünftige Pflege mit
einfachsten Naturmitteln wird ihm bald wieder das volle Augenlicht.
Mit dreizehn Jahren ist er ein eifriger Zeichner nach der Natur. Und gelegentlich schon mit
dem Willen mehr als abzuzeichnen, vielmehr etwas Bestimmtes fühlen zu lassen. Die Liebe zur
Landschaft nährte der Vater. Er nimmt ihn Sonntags hinaus in seine geliebten Berge. Die Heimat
wird ihm die erste Vertraute, sie bleibt ihm die liebste, die unentbehrliche.
Selbst im Massenbetrieb der Volksschule fällt des jungen Zeichners Gabe auf. Er kommt auf
zwei Jahre in die »Zentralzeichenschule«, eine Einrichtung Kcrschensteiners, der damals in den
Volksschulen Material für seine Studien über die zeichnerische Begabung des Kindes sammelte.
Kam Weiß hier auf den rechten Weg zum Studium, zur Erschließung seiner schlummernden
eigenen Gabe?
Weit gefehlt! Weiß gilt bald als unbegabt. Seine Gabe war gründlich verschüttet worden in
den wenigen Unterrichtsstunden, die er Mittwochs und Samstags nachmittags mit den Auserwählten
seines Alters genoß. Wer den Zeichenunterricht der Münchener Volksschulen mit seinen pedantisch
vorgeschriebenen Hilfsmitteln, »die charakteristische Eorm zu entdecken«, kennt, wird sich nicht
wundern. Schematisierung untergräbt des Begabten Lust zu schauen und zu schaffen, sie zerstört
das Entscheidende und das Gehör für den eigenen inneren Schaffensbefehl. Auch Kunstunterricht
sollte vor allem Charaktererziehung sein.
Indessen fährt Weiß fort, den Bilderreichtum seiner Bergheimat in sich aufzusaugen und
aufzuspeichern. Und in seine Zeichnung kommt gelegentlich etwas so Festes, fast wie bei van
Gogh. Natürlich wird der Einfluß der immerwährenden Kunstausstellung Münchens, nämlich in den
Straßen der Stadt mit den zahllosen Schaufenstern der Kunsthändler, da und dort bemerkbar. Wie
oft mag sich der Junge vor den Fenstern hungrig gestanden und satt geschaut haben. So kommt
in die Zeichenbücher mal so eine Art Lenbachscher Hirtenjunge oder ein großäugiger Stuckscher
Frauenkopf oder die Wirkung von einem Hohlweinschen Plakat. Alles Dinge, die sich rasch
verflüchteten, wie bloße Zerstreuungen. Wer weiß, ob im weiteren Familienkreise nicht gerade
dieses Umspringen einigen Eindruck von Talent gemacht hat. Vom Maler-Werden ist nicht die
Rede. Die Eltern wußten zu gut, was für brotlose Herren die Kunstmaler oft sind. Kunstschlosser
durfte der Sohn schon eher werden. Aber dazu war er viel zu schwach. Nun, so tun ihn die Eltern
in die Werkstätte für Metallarbeiten von Steinicken und Lohr. Der Junge hat die Volksschule
hinter sich und soll Ziseleur werden. Das war 1908. Aber noch vor Ablauf eines Jahres muß er
den Beruf aufgeben. Eine Metallvergiftung ist schuld daran. Die Lust an der Metallarbeit war auch
nicht groß, immerhin dürfte der Sinn für reine Linien, Feinheit auch im Kleinen, dem Lehrjungen
bei der Arbeit nützlich gewesen sein.
Nur zeichnet er während der Krankheit ganz was anderes als Kunstgewerbe. Ein ordentlicher
Farbenrausch erfüllt ihn. Der scheint bald wieder untergegangen zu sein. Er wird wohl noch
einmal wieder reiner auftauchen. Denn auch schon die Schwarzweißblätter des späteren Josef
Weiß sind für uns von stärkstem farbigem Reiz. Jetzt zeichnet er, was er hört und liest, nicht was
er sieht: Teil-Szenen, Landsknechte, Unglücksfälle. — Das ist der Anfang von Weißens eigener
schaffender und schöpferischer Art. Er speichert das Erschaute auf, aus der Erinnerung der Augen
und aus der Konzentration auf sich wird er zum Schöpfer.
Vorläufig wird davon kaum etwas sichtbar; sein Traum vom Künstlertum wird jäh zerstört.
Der Junge wird Schneiderlehrling seines Vaters. Drei Jahre lang. Und dann ist er noch ein
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bekommt er den grauen Staar. Er ist nahe am Erblinden. Durch der Mutter vernünftige Pflege mit
einfachsten Naturmitteln wird ihm bald wieder das volle Augenlicht.
Mit dreizehn Jahren ist er ein eifriger Zeichner nach der Natur. Und gelegentlich schon mit
dem Willen mehr als abzuzeichnen, vielmehr etwas Bestimmtes fühlen zu lassen. Die Liebe zur
Landschaft nährte der Vater. Er nimmt ihn Sonntags hinaus in seine geliebten Berge. Die Heimat
wird ihm die erste Vertraute, sie bleibt ihm die liebste, die unentbehrliche.
Selbst im Massenbetrieb der Volksschule fällt des jungen Zeichners Gabe auf. Er kommt auf
zwei Jahre in die »Zentralzeichenschule«, eine Einrichtung Kcrschensteiners, der damals in den
Volksschulen Material für seine Studien über die zeichnerische Begabung des Kindes sammelte.
Kam Weiß hier auf den rechten Weg zum Studium, zur Erschließung seiner schlummernden
eigenen Gabe?
Weit gefehlt! Weiß gilt bald als unbegabt. Seine Gabe war gründlich verschüttet worden in
den wenigen Unterrichtsstunden, die er Mittwochs und Samstags nachmittags mit den Auserwählten
seines Alters genoß. Wer den Zeichenunterricht der Münchener Volksschulen mit seinen pedantisch
vorgeschriebenen Hilfsmitteln, »die charakteristische Eorm zu entdecken«, kennt, wird sich nicht
wundern. Schematisierung untergräbt des Begabten Lust zu schauen und zu schaffen, sie zerstört
das Entscheidende und das Gehör für den eigenen inneren Schaffensbefehl. Auch Kunstunterricht
sollte vor allem Charaktererziehung sein.
Indessen fährt Weiß fort, den Bilderreichtum seiner Bergheimat in sich aufzusaugen und
aufzuspeichern. Und in seine Zeichnung kommt gelegentlich etwas so Festes, fast wie bei van
Gogh. Natürlich wird der Einfluß der immerwährenden Kunstausstellung Münchens, nämlich in den
Straßen der Stadt mit den zahllosen Schaufenstern der Kunsthändler, da und dort bemerkbar. Wie
oft mag sich der Junge vor den Fenstern hungrig gestanden und satt geschaut haben. So kommt
in die Zeichenbücher mal so eine Art Lenbachscher Hirtenjunge oder ein großäugiger Stuckscher
Frauenkopf oder die Wirkung von einem Hohlweinschen Plakat. Alles Dinge, die sich rasch
verflüchteten, wie bloße Zerstreuungen. Wer weiß, ob im weiteren Familienkreise nicht gerade
dieses Umspringen einigen Eindruck von Talent gemacht hat. Vom Maler-Werden ist nicht die
Rede. Die Eltern wußten zu gut, was für brotlose Herren die Kunstmaler oft sind. Kunstschlosser
durfte der Sohn schon eher werden. Aber dazu war er viel zu schwach. Nun, so tun ihn die Eltern
in die Werkstätte für Metallarbeiten von Steinicken und Lohr. Der Junge hat die Volksschule
hinter sich und soll Ziseleur werden. Das war 1908. Aber noch vor Ablauf eines Jahres muß er
den Beruf aufgeben. Eine Metallvergiftung ist schuld daran. Die Lust an der Metallarbeit war auch
nicht groß, immerhin dürfte der Sinn für reine Linien, Feinheit auch im Kleinen, dem Lehrjungen
bei der Arbeit nützlich gewesen sein.
Nur zeichnet er während der Krankheit ganz was anderes als Kunstgewerbe. Ein ordentlicher
Farbenrausch erfüllt ihn. Der scheint bald wieder untergegangen zu sein. Er wird wohl noch
einmal wieder reiner auftauchen. Denn auch schon die Schwarzweißblätter des späteren Josef
Weiß sind für uns von stärkstem farbigem Reiz. Jetzt zeichnet er, was er hört und liest, nicht was
er sieht: Teil-Szenen, Landsknechte, Unglücksfälle. — Das ist der Anfang von Weißens eigener
schaffender und schöpferischer Art. Er speichert das Erschaute auf, aus der Erinnerung der Augen
und aus der Konzentration auf sich wird er zum Schöpfer.
Vorläufig wird davon kaum etwas sichtbar; sein Traum vom Künstlertum wird jäh zerstört.
Der Junge wird Schneiderlehrling seines Vaters. Drei Jahre lang. Und dann ist er noch ein
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