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Voraussetzungen dieselben wie zwei Jahre vorher, aber die zeichnerische Handschrift wird bereits
ruhiger, zieht größere Flächen zusammen, baut kompositioneil bereits auf farbigen Kontrasten und
damit auf neuer Perspektive und Raumwirkung auf. Das Gläserne der Luft, die eine ganz andere
Schalltragfähigkeit wie im Tale hat, wird augenblicklich klar und damit der Ernst der Situation, die
Größe der Naturgewalt.

Von 1922 bis 1924 folgt eine Pause in der künstlerischen Schaffenslust, die an Müdigkeit
denken läßt. 1924 werden neue Anregungen von außen als notwendig empfunden, und so geht
Emmy Singer in den Damenkurs zu Professor Martin nach Wien, besucht wieder die Sammlungen
der alten Residenzstadt und ihre Konzerte, ohne zu übersehen, daß für illustrative Zwecke — man
denke an mehrere frühere Buchillustrationen — der Schriftkurs an der Graphischen Versuchsanstalt
von Professor Larisch neue Möglichkeiten der künstlerischen Beseelung unseres täglichen Ver-
ständigungsmittels beinhaltet. Der Wiener Aufenthalt währt wenige Monate.

Dafür sieht sie der ganze Sommer 1925 im Engadin, in St. Moritz, Maloja, am Bernina-Paß.
Die Offenbarung der Alpenwelt in ihrer erhabenen Größe führt vorerst zu seelischem Zwiespalt,
bevor die Technik, dieser Monumentalität Herr zu werden, gefunden ist. Der seit 1920 bereits auf
das Großzügige abzielende Strich gewinnt jetzt durch Aufgabe jeglichen Details zugunsten rein
malerischer Wirkungen. Mit der breiten Kohle sind jetzt die Naturstudien auf glattem Karton hin-
gelegt und Bodenwellen, Bäume, aber auch Gebirgsstöcke nur mehr in ihrer generellen Erscheinung
festgehalten. Die richtige Druckintensität beim Gebrauch des Materials (Kohle oder Kreide) erzielt
den malerischen, fast könnte man sagen farbig abgestimmten Akkord. Diese letzte Periode erfordert
zu ihrem restlosen Verständnis ebensosehr vom Beschauer wie von der Künstlerin tiefstes Ver-
wachsensein mit der Natur.

Seit ihrer 1926 mit dem Bergmanne Dr. Hießleitner eingegangenen Elte ist Emmy Singer in erster
Linie Hausfrau und nunmehr auch glückliche Mutter. Gelegentliche Arbeiten an der Nordsee (Sylt)
mit Fettkreidestiften zeigen dieselbe beruhigte, zusammenfassende Tendenz in ihrem Kolorismus und
zeichnerischen Gefüge wie die Schweizer Gebirgsblätter. Eine Weiterentwicklung, die zweifellos
von dieser Basis ins Druckgraphische, am ehesten zur Lithographie gelangen muß, kann nur mehr
Frage von wenigen Monaten sein. Karl Garzarolli-Thurnlackh.
 
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