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sagen, das aber noch nicht genug Überzeugungskraft gewonnen hat, um als befreiender Ausdruck
empfunden zu werden.

Auch in den frühesten Blättern von Theodor Fried ringt sich das, was heute schon Brücke zur
Bedeutung seines Wesens ist, als Versuch neuen Sehens und neuer Deutung langsam durch. Als
bemerkenswertes Blatt steht in jener Zeit eine Kohlezeichnung: »Mittagspause« (1925; Abb. 2). Ar-
beiter lagern auf einer Stiege, die das Terrain eines unbebauten Vorstadtgrundes von vorne nach
hinten zerteilt. Ganz schmal, über dem horizontalen Abschluß eines Geländers, geben Häuser und
eine weitere Terrainstufe den flächigen Hintergrund. Die Stiege mit ihren Wänden bildet den klar
umschlossenen Raum für die Gruppe von Leuten, Männern und Frauen, etwa Hafenarbeitern, die
auf den Stufen hocken, ihr Mittagsmahl verzehrend. Die auffällige perspektivische Flucht, durch die
Kanten der Stiegenmauern und die nach rückwärts schwingende Geländerstange angezeigt, ist
nicht Hauptsache der Komposition, soll auch nicht zu einem flächigen Bildaufbau führen; vielmehr
dient sie nur der präzisen Umschreibung eines Raumes, in dem die Menschengestalten angeordnet
sind. Besonders betont ist dieser Raum durch die beiden Figuren, die aus seiner Umgrenzung
herausragen, eine sitzend, die zweite stehend mehr im Hintergrunde. Die Hauptgruppe — eine Frau
mit zwei Kindern, mehrere Männer und eine Frau, die halb von rückwärts zu sehen ist — ist
durch diese räumliche Umschreibung zusammengefaßt und in ihren Bewegungsrichtungen inten-
siviert. Die Darstellung der Körper beschränkt sich auf die notwendigsten Angaben; wichtig allein
ist die Betonung ihrer Funktionen in sich und im Verhältnis zueinander. Die halbe Draufsicht, mit
der die Gruppe gegeben ist, wie die Tatsache möglichst geringfügiger Überschneidungen, teilweise
durch Anordnung der Gestalten im Hintereinander auf Stufen bewirkt, erhöhen die Klarheit der
Erscheinung, welche durch ihre Selbstverständlichkeit und Einfachheit eindringlich wirksam wird.
Diese künstlerischen Werte dienendem Thema des Blattes, das das Mittagsmahl dieser Arbeiter in
seiner kahlen Abgeschlossenheit vor Augen führen will. Genremäßige Züge, wie die Gruppe der
Mutter mit den beiden Kindern oder der Mann, der im Essen innehält und die vor ihm Krumen
pickenden Vögel mit müder Neugier anstiert, durchbrechen den unbelebten, bewegungslosen
Charakter der Zeichnung.

Die Behandlung des Körperlichen, die hier an der menschlichen Gestalt abgewandelt wird,
kommt in einer anderen Zeichnung, die als Hauptthema die Darstellung eines Unbelebten hat
(»Der Klavierspieler«, 1925; Abb. 4), zu größerer Isolierung der Problematik. Der Klavierspieler,
der Konzertsaal, das nur ungefähr angedeutete Publikum sind Beigaben, die die Zeichnung zu einer
Bildmäßigkeit formen; ausschließliches Interesse hat der Künstler an der Umschreibung der Gestalt
des Klaviers, dessen grotesk geformter Deckel, in einer dem Vorbilde nicht entsprechenden, ja
unmöglichen Weise aufgeklappt, seine große Fläche schief und quer im Bildraum zeigt. Deutlich
wird der Anreiz fühlbar, der von der klar umschlossenen Körperhaftigkeit dieses Holzvolumens
ausgeht und den der Künstler in seiner Wirkung darzustellen sucht. Der Gegensatz von rechtem
Winkel und geschwungener Linie, der an sich schon ein besonderes Raumgefühl vermittelt, ist
durch die Stellung des Klaviers und die Art des aufgeklappten Deckels hervorgehoben. Dazu
kommt noch, daß es nicht genügt, die Umgrenztheit des Klavierkörpers einfach darzustellen,
auch nicht in dieser Ausschließlichkeit, wie es hier geschieht; die geometrischen Werte dieses
Gegenstandes scheinen durch das Schweben des Körpers in bestimmter Höhe über dem Boden,
sowie durch die Behandlung seiner Oberfläche durch Glanzlichter und Strichelung noch ge-
steigert. Bildausschnitt und Linienrhythmik geben dem Ganzen ein Stimmungsmoment der Be-
wegung.

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