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Der ganz vereinfachte, ganz geschliffene, ganz
zwingende Stil von Beckmanns spätester Graphik findet
seinen stärksten Ausdruck in den Bildnisblättern. Auch
hier ist dieser Künstler von einer Schärfe der Psycho-
logie, die das Wesen des Menschen nicht verschönt oder
abmildert, sondern nackt bloßlegt. Diese Porträte sind
von einer unheimlichen, schneidenden Wesensähnlich-
keit, man möchte sagen, sie zeigen den Menschen viel
klarer, als ihn das tägliche Leben zeigt. Wir besitzen
leider keine Zustandsdrucke der großen Lithographien.
Die Radierung des Professors Swarzenski (nach 1923)
gibt uns einen Ersatz. Es ist ein schlichtes Brustbild,
die Hand mit der Zigarette vor der Brust. Der kleine,
elegante, nervöse Gelehrte steht leibhaftig vor uns, sehr
vorsichtig, sehr feinfühlig, sehr geistvoll. Der erste Probe-
druck umreißt ganz zart und zögernd die Erscheinung,
das fertige Blatt gibt nur mit den schwärzesten Graten
der Umrisse, mit ein paar scharf geschliffenen Strich-
lagen das unvergeßliche Bild dieser Persönlichkeit. Man
sieht an dieser lapidaren Vereinfachung der Mittel, wie
der zeichnerische Stil dieser letzten Periode die höchste
Prägung und Exaktheit gewonnen hat. Das Weiß ist fast
ganz als Fläche, das Schwarz fast rein als Linie gegen-
einander wirksam. Und doch wird man ein solches Blatt
plastischer, farbiger als irgendein anderes empfinden.

Beckmann hat auch einige Landschaften oder,
besser, Stadtlandschaften radiert. Fast immer sind es die
Mainufer in Frankfurt, wo er lebt, die ihn dazu angeregt
haben. Die ersten Blätter stammen aus seiner expressio- Max Beckmanni Frau mit Kerze. 19,0. Holzschnitt,
nistischen Periode, und sie sind besonders bezeichnend

für diese. Da reißt ein Blick den Häuserfluchten und Kaimauern entlang das Auge scharf in die Tiefe,
da züngelt eine Baumreihe wie Flammen, da nimmt ein schwebender Luftballon uns doch wieder
gleichsam nach vorne zurück. Eine Mainlandschaft (1918) gibt, von der einen Brücke gesehen und
von der anderen abgegrenzt, den Strom von oben wie ein uferumschlossenes, ruhendes Wasserbecken,
von Ruderkähnen klein belebt. Ein Sichelmond schwebt darüber. In der zweiten Fassung werden die
abschließenden Brückenkulissen vorn gestrichen, eine große rahmende Wellenkurve faßt dafür
unten den Strom wie in ein gewaltiges Bogenornament zusammen. Diesem Schwung entspricht
oben ein Wolkenzug, der wie ein Schleier von rechts nach links und wieder nach rechts zurück
über den Himmel gezogen ist, den verkleinerten Mond einrahmend, der nun auch im Wasser sich
spiegelt. Der endgültige Druck betont dies alles noch schärfer, noch enger wird der Horizont ein-
geschränkt, alle Erscheinung ist noch näher und kräftiger zusammengefaßt, wie um eine große
S-Linie herumgeschrieben. Dieses Zurückschränken und Zusammenrücken der Landschaft in immer
engere und bedrängende Nähe spricht sich viel heftiger noch in Beckmanns reifsten Blättern aus,
zum Beispiel in der großen Brücke von 1922. Da fährt der aufgehängte eiserne Steg mit seinen

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