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Das Titelblatt (B. 192) ist gegliedert durch einen vor einem reich ornamentierten Tabernakel
errichteten Altar mit dem Wappen Philipps II., das die allegorischen Gestalten der „Victoria"
und der „Pax" umrahmen. Kein Zweifel, daß hier Zeichnungen Campis vorgelegen haben,
wofür die Inschrift „Ant. Cam. In" bürgt. Stilistisch steht das Werk der Darstellung von
Eutychus und Paulus des Jahres 1583 nahe. Durch eine sehr sorgfältige, allen Einzelheiten
der Form nachgehende Schraffierung ist eine starke plastische Wirkung der Gestalten sowie
der architektonischen Teile vor dem dunkel behandelten Hintergrund erzielt. Das Licht liegt
lediglich auf der vorderen Partie des Körpers, während die nicht beleuchteten Teile in die den
Hintergrund erfüllende allgemeine Dunkelheit zurücktreten. Durch diese energische Licht-
und Schattenwirkung hat der Künstler eine große Klarheit des Bildraumes erreicht, der sich
bis zur Rückwand hin vertieft und die in der vorderen Zone liegenden Partien mit aller Deut-
lichkeit hervortreten läßt.

Ein weiteres gestochenes Blatt (B. 193) auf der Rückseite des Titels enthält vor einem mit
breiter Bordüre geschmückten Baldachin in einem ovalen Medaillon, welches auf einer Maske
ruht, das erwähnte Bildnis Philipps IL, unter dem in mehreren Reihen die Wappen der von
dem Monarchen beherrschten Länder und Provinzen angebracht sind (Abb. 1). Wiederum
erhält die Darstellung durch die zeichnerische Prägnanz, mit welcher die beiden als „Fides"
und „Justitia" gekennzeichneten Frauengestalten in hellem Licht vor dem dunklen Hinter-
grund des Baldachins heraustreten, ihre künstlerische Bedeutung. Aber die Wirkung des
Blattes beruht keineswegs nur auf der Behandlung des Raumphänomens, sondern in dem
besonderen Interesse, welches der Künstler der materiellen Erscheinung der Gestalten zu-
wendet. So sind die eng anliegenden Gewänder der beiden Tugenden ebenso überzeugend und
lebenswahr gestaltet, wie das Spiel des Lichtes in den Blumengirlanden oder die geschweiften
Kelche der Füllhörner.

Die besondere Art, mit der das Bilderlebnis dargestellt ist, im Zusammenhang mit einer
außerordentlich prägnanten und trotzdem zarten Formbeschreibung, gibt auch einem anderen
in den Text eingestreuten Blatt, der Darstellung des „Carroccio" (B. 194). sein Gepräge (Abb. 2).
Mit liebenswürdiger Anmut baut sich das charakteristische Stadtbild Cremonas mit dem
zinnenbewehrten Mauergürtel vor den Augen des Beschauers auf, stolz und daseinsfroh im
hellen Sonnenglanz ausgebreitet und sich mit der wohlbekannten Silhouette der Giebel und
Türme vom bewölkten Himmel abhebend. Aus dem Stadttor heraus drängt der lange Zug
bewaffneter Krieger in die Ebene und biegt unmittelbar vor dem Beschauer nach rechts um,
damit sich dort im ersten Plan das reiche kompositionelle Leben des von sechs mächtigen
Tieren gezogenen Ochsengespanns mit Sturmglocke und Fahne entfalten kann. Dieser Dar-
stellung liegt keines der üblichen Bildschemata zugrunde. Jede literarische Note und allegori-
sche Anspielung, wie sie der Manierismus liebte, ist hier verbannt. Ein Vorgang aus dem täg-
lichen Leben, den der Künstler mit all den kleinen charakteristischen Einzelzügen einer realen
Begebenheit ausgestattet hat, wie er sie in der von Kriegslärm widerhallenden Campagna di
Bologna häufig beobachten konnte.

Den interessantesten Teil der Textillustrationen des Campischen Werkes bilden die 32 Por-
träts von Prinzen und Prinzessinnen des mailändischen Herrscherhauses sowie von Cremonesen,
die sich um ihre Vaterstadt verdient gemacht und unter denen Antonio Campi nicht fehlen
durfte (Abb. 3). Wie in dem Stich des Fahnenwagens umgibt auch hier der Künstler seine
Darstellung mit dem Reiz einer völlig zwanglosen und unkonventionellen Schilderung von
Persönlichkeiten, die er nach Alter, Charakter, Stand und Gemütsart individualisiert. Die
dem Künstler zur Verfügung stehenden Möglichkeiten psychologischer Charakteristik sind
freilich noch gering, besonders wenn man sie mit den so lebensvollen Bildnissen vom Ende des

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