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Glaser, Curt
Die Kunst Ostasiens: der Umkreis ihres Denkens und Gestaltens — Leipzig: Insel-Verl., 1920

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https://doi.org/10.11588/diglit.53086#0161
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den Geist des Laotse. Die Chinesen selbst haben mit
dem Namen der „südlichen Schule“ für diesen Stil
weicher Tonmalerei die Beziehung festgelegt. Seine
bevorzugte Schätzung ist in dem berühmtesten Kunst-
traktat der neueren Zeit1 klar ausgesprochen: „Die
alten Meister, die göttliche Werke geschaffen haben,
sind zumeist südlich des großen Stromes geboren. Die
Landschaften der Nordländer sind steil und wunder-
sam. Aber das kann nicht das Auge der Menschen
erfreuen und beruhigen.“
Die wundersame Bildung der Einzelform beun-
ruhigt. Sie lenkt den Blick ab von dem Wesentlichen.
So wird es das Ideal, auf das Detail überhaupt zu
verzichten, es aufgehen zu lassen in der Wirkung des
Ganzen. Der Pinselstrich wird breit und kühn. In den
chinesischen Schriftquellen heißt es: „Ein Bild scheint
ganz durchgearbeitet, aber sieht man es in der Nähe,
so sind da nur wenige Pinselstriche, allerdings kein
einziger, der nicht mit weiser Berechnung gesetzt
wäre.“2 Von einem anderen Meister wird tadelnd ge-
sagt, in Feinheit der Arbeit sei er nicht zu übertreffen,
aber seine Gemälde seien mit Einzelzügen überladen,
und es fehle ihnen an Klarheit.3 Und schon der be-
rühmte Shen Kua berichtet von Malern, deren Werke
man aus einiger Entfernung sehen solle, weil sie breit
angelegt seien. „Sieht man sie in der Nähe, so gleichen
die Dinge in ihren Gemälden formlosen Massen, aber
hält man sie entfernt, so kommt die Landschaft in
ihren Hauptzügen wundervoll heraus und weckt tiefe
Empfindungen, löst Gedanken aus, als blickte man
1 Chieh-tzu-yüan-hua-chuan. — a Giles S. 116. — 3 Giles S. 100.

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