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unter ihnen, Victor Hugo, gegen das Böse und Häßliche, auch wenn
es auf hohen Thronen sitzt.
Statt wie einstige Dichter dem Eroberer höfische Schmeicheleien zu
sagen, ernennt er den Dichter zum Ankläger blutiger Könige. Das
schöne Wort soll die ungerechten Unterdrücker an den Schandpfahl
zerren, sie daran heften für alle Zeit. Dagegen hegt er, fast wie
ein Franziskus von Assisi, zärtlichste Liebe für das, was elend und
verstoßen ist. Er zwingt uns seinen Quasimodo, seine Miserables
als schön zu lieben, denn er macht ihr Häßliches schön kraft seiner
Kraft, und insofern straft er sein eigenes Wort Le laid c'est le
beau Lüge, da bei ihm das Häßliche gar nicht mehr häßlich ist.
Seine Liebe hat die Prinzessin in der Eselshaut oder das arme
Aschenbrödel längst entzaubert, und sie tragen nur mehr ein Symbol
des früheren verwunschenen Zustands, etwa wie der entfesselte
Prometheus als Erinnerung an seine Schmach einen Splitter seines
Felsens im Fingerring trägt.
Was wir lieben können, was wir lieben müssen, ist schön.
Wie ein Gott verleiht der Dichter Schönheit, wie ein Märchenprinz
erlöst er die noch so häßlich Verwunschenen und wie ein Christus
spricht er den Schächer am Kreuz noch selig in allerletzter
Stunde.
Eine gewisse Gefahr bringt diese Philosophie mit sich. Sie kann
zu absurden Vorstellungen verleiten, wenn sich kleinere Geister
ihrer bemächtigen. So führt etwa der Theoretiker Jouffroy Reids
Sympathielehre ad absurdum, indem er das Beispiel bringt, ein zer-
lumpter Trunkenbold am Weg gefiele uns, ein unschön zerbröckelter
Stein daneben gefiele uns nicht, weil der Stein durch seinen Aus-
druck kein Interesse errege, indes der Trunkenbold dadurch, daß er
interessiert, sich auch an unsere Sympathie, an unser Schönheits-
gefühl wende.
Der Ausdruck L'art pour l’art, den die französischen Romantiker
prägten, bezeichnete ursprünglich durchaus keine hochmütige Ab-
sonderung vom Leben, sondern nur eine Absonderung vom Philister-
tum, indem die Kunst wie ein feudaler Herr sich eigene Gerecht-
same zuschrieb und über den Herdeninstinkt des Laien ihren eigenen
höheren Instinkt allgemeiner Sympathie setzte. Landläufige Begriffe
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