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Görling, Adolph; Woltmann, Alfred [Oth.]; Meyer, Bruno [Oth.]
Deutschlands Kunstschätze: eine Sammlung der hervorragendsten Bilder der Berliner, Dresdner, Münchner, Wiener, Casseler und Braunschweiger Galerien : eine Reihe von Porträts der bedeutendsten Meister (Band 2) — Leipzig: Verlag von A.H. Payne, 1872

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https://doi.org/10.11588/diglit.62335#0108
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66 Deutschlands Kuustschätze.
blickliche Abwesenheit, welche wir veranlaßt hatten, und reisten nach Wien ... Sie zu sprechen,
Herr Schubert, war der einzige, wirkliche Zweck unserer Reise!"
„Gnädige Frau, Sie versuchen es, sich an einem Binsenhalm vor dem Untergang zu retteu",
sagte Schubert mit einem Tone, der tief aus dem Herzen kam. „Den Einfluß einer mächtigen
Persönlichkeit aus den Willen eines Vaters in Bezug auf die Verheirathung seiner Tochter zu
brechen... Ach, gnädige Frau, die Musik vermag wohl viel, aber nie vielleicht ist ihr eine schwerere
Aufgabe gestellt worden. Der Zweck meiner Musik, glaube ich, liegt stets in ihr selbst; es ist ihr
eigenstes Wesen, daß sich mit derselben gar nichts erreichen läßt, was äußerer Erfolg ist. Wo ich
mir den äußern Erfolg nur habe vorstellen müssen, wie bei den Opern, da bin ich allemal am
schwächsten gewesen!"
„Ich bin keine gelehrte Musikkundige", antwortete die Mutter, „aber ich habe die bestimmte
Empfiudung, daß die Musik mit dem Gebet zu vergleichen ist. Das Gebet hat auch seinen Zweck
in sich selbst und dennoch wirkt es auf etwas demselben Aeußerliches. Wenn man selbst nicht Kraft
und Beredsamkeit genug besitzt, um mit der Empfindung zu beten, man werde sicherlich erhört
werden, so wendet man sich an die Heiligen ... Ein Künstler, und vor allen Dingen Musiker, hat
auch eine heilige Mission!"
Ein feierliches Schweigen entstand.
„Gnädige Frau, ich habe Sie jetzt verstanden", antwortete Schubert mit Bewegung. „Sie
wissen nicht, was Sie von mir fordern sollen, und ich ahne nicht, wie ich das schaffen kann, was
Ihnen vielleicht nützlich sein möchte . . ."
„Der heilige Geist der Kunst wird Ihnen Alles eingeben!" sagte die Baronin mit zum Him-
mel erhobenem Blick. „Unsere Sprache ist zu machtlos, um das Herz des Barons zu bewegen,
aber der Ihrigen wird er nicht zu widerstehen vermögen! Wer gleich meinem edlen Gemahl von
Ihren Mignongesängen auf's Tiefste ergriffen wird, der kann unmöglich den Tönen gegenüber
gefühllos bleiben, welche Sie aus der Brust eines jungen, gequälten Mädchens heraushören, die
sich in der grausamen Lage Marien's befindet."
Schubert stand am Fenster und betrachtete die beiden in Halbschatten gehüllten Frauen, be-
sonders aber Marie von Liechtenstern, indeß er sich mit seiner Brille zu thuu machte.
„Es ist doch etwas mehr im Componiren", sagte er mit gedämpfter Stimme, „als das Noteu-
schreiben. Der Aether der Kunst schlägt doch mächtige, weit und tief reichende Wellen! Manchmal
hat es mich bedünken wollen, als gäbe ich für die Leute, denen meine Mufik gefällt, nur ein paar
Flittern und Blumen, um eine müssige Stunde leidlich aufzuputzen! Aber gnädige Frau, Sie
beweisen mir, daß es doch anders ist, daß ich in der Grämlichkeit, welche sich zuweilen über mich
Hermacht, Menschen Unrecht gethan habe, deren inneres Leben dem Ihrigen ähnlich ist ... Haltenj
Sie sich überzeugt, daß mir dieser Abend unvergeßlich sein wird — das Glück", fügte er mit einem
Kindeslächeln hinzu, bedenkt mich eben nicht verschwenderisch mit seinen Schätzen! Ich werde fin-
den, was ich von heute an mit voller Herzenssehnsucht suchen werde! Verlassen Sie sich darauf!"
Die Damen nahmen Abschied mit einer Miene, als sei ihnen ein Stern erschienen, der plötz-
lich in ihrem düstern Irrsal einen Rettungsweg erkennen ließ.
Die Hauswirthin erschien und berichtete: die Damen seien in einem herrschaftlichen Wagen
 
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