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Goldschmidt, Adolph
Lübecker Malerei und Plastik bis 1530: mit 43 Lichtdrucktafeln — Lübeck, 1889 [erschienen] 1890

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https://doi.org/10.11588/diglit.21914#0015
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zusprechen. Es ist dies der Flügelaltar in Grabow in Mecklenburg
(Tafel 1 und 2) '), welcher 1725 von Lübeck, wo er bis dahin
aufgestellt war, an die dortige abgebrannte Kirche geschenkt wurde.
Laut früher vorhandener Inschrift ist er aus. dem Jahre 1379 und
zeigt auf der Aussenseite der beiden Flügel je sechs Bilder. Bei
geschlossenen Thüren sind in der oberen Reihe dargestellt von links
nach rechts: Die Erschaffung der Pflanzen, der Thiere, Adams,
Evas, Ermahnung Gottes an das erste Menschenpaar und der Sün-
denfall, in der unteren: Die Opferung Isaacks, Esaus Auszug auf
die Jagd, Ertheilung des Segens an Jacob, die Verkündigung, Geburt
Christi und Anbetung der drei Könige. Sowohl aus den deutlichen
Lücken in der Reihe der dargestellten Scenen wie auch aus Schar-
hierspuren am Rande muss man schliessen, dass früher auch noch
ein äusseres bemaltes Flügelpaar vorhanden, das Werk also noch
von grösserem Umfange war.

Vergleicht man die Malerei nun mit westfälischen Werken,
so findet man allerdings eine grosse Verwandtschaft mit gleichzeitigen
Arbeiten wie mit der Krönung der Maria im Museum in Münster )
und dem Triptychon mit der Kreuzigung in der südlichen Chorcapelle
der Wiesenkirche in Soest vom Jahre 137(1 (?) s), letzteres zwar eine
viel geringere Arbeit. Ausserdem, dass sie auf demselben Stand-
punkte der Entwickelung stehen, denselben Goldgrund zeigen, der
bis tief hinunter geht und den schmalen Streifen Erdboden nach
hinten scharf abschneidet, dieselbe ungeschickte Art, einzelne Bäume
und andere Gegenstände hinzustellen, sowie die Andeutung eines
grösseren Gebäudes, welches die Scene in sich schliesst, durch einen
meist in der Luft schwebenden Baldachin aus Bogen und Thürmchen,
sind auch die Einzelheiten sich sehr ähnlich. Hier wie in Westfalen
finden sich die ausserordentlich weichlichen Gesichter von einem
oben und unten fast gleichmässig abgerundeten Oval mit sehr kleinem
Mund und fast ohne irgendwelche charakteristische Knochenbildung,
selbst bei den Männern. Noch erhöht wird dieser weichliche Ein-
druck dadurch, dass der Uebergang vom Schatten zu helleren Tönen
ein ganz allmähliger ist, und wirkliches Licht sich bei den Gesichtern
nur auf den am stärksten hervortretenden Theilen der Backen, Stirn
und Nase befindet. Der Ton der letzteren ist ein ziemlich dunkler,
bei den Männern braun, die Gewandung wechselt zwischen horizontal
über den Körper gespannten und senkrechten röhrenartigen Falten,
die zuweilen durch einen kleinen Querknick unterbrochen sind.

Bei unserm Lübecker Bilde ist jedoch noch besonders hervor-
zuheben, dass in Einzelheiten die Natur gut beobachtet ist; so sind
unter den Thieren der Schöpfung die verschiedenen Fische und
Krebse auffallend naturgetreu gelungen, was ebenfalls dafür spricht,
dass der Künstler bereits ein Insasse der Seestadt und nicht West-
falens war.

Es ist dies das einzige datirte Beispiel der Lübecker Tafel-
malerei, welches ich aus so früher Zeit anführen kann, doch steht
ihm stilistisch sehr nahe der in äusserst dürftigem Zustande erhaltene,
kleine Flügelaltar in der Brömsenkapellc des Domes in Lübeck,-
welcher auf der Aussenseite der Flügel vier gemalte Scenen, Himmel-
fahrt und Höllenfahrt Christi, Ausgiessung des heiligen Ccistes und
Tod der Maria enthält.

') Vergl. Lisch in d. Jahrb. f. Mecklenbg. Gesch. u. Alterth. Bd. X,
S. 318 und 1kl. XXXVIII, S. 200, ferner Otte: Kunstarchäologie II, Seite (107.
— Bei der Renovirung 1807 fand man auf dem weissen Kreidegrund: Anno
domi mccc.l xxix und hinter dem Crucifix in der Mitte: 75,'yö

*) Museum d. westf. Kunstvereins Xo. 09., stammt aus dem Walpurgis-
kloster in Soest. — Nordhoff: »Die Soester Malerei unter Meister Conrad-, in
d. Bonner Jahrb. lieft 07, 1879, S. 125.

:') Nordhoff a. a. O. S. 124 —
Münzenberger a. a. ü. II S. 41.

Ungefähr 40 Jahre vergehen, bis uns wieder ein datirtes
Werk entgegentritt. Es sind dies die Reste des 1415—1425 ver-
fertigten Hochaltars von St. Marien, von dem sich noch geschnitzte
Theile in der Sakristei vorfinden.1) Die auseinandergesägten Seiten
eines Flügelstückes haben wir in zwei gemalten Hotztafeln im cultur-
historischen Museum 2) in 1 .übeck zu erblicken, von denen die innere
die Verkündigung (Taf. 3), die äussere zwei Apostel darstellt, einen
Theil der Predella oder einen unteren Einsatz im Mitteitheile aber
bildete die Tafel mit fünf Halbbildern weiblicher Heiligen (Taf. 3),
welche noch jetzt in einer Seitencapelle der Marienkirche auf-
bewahrt wird.

Zehn Jahre jünger, aber umfangreicher sind die Malereien,
Scenen aus dem Leben Christi, auf der Aussenseite der Flügel eines
grossen Altarschreines im Erdgeschosse des Schweriner Museums,
welcher aus der Jacobikirchc in Lübeck stammt und 1435 vollendet
wurde.3) Endlich rührt ebenfalls aus der Zeit kurz vor 1435 der
kleine Altar im Amtshause zu Schwartau4) bei Lübeck her, dessen
gemalte Flügel auf der Innenseite mit je vier Darstellungen aus dem
Leben der Maria von der Verkündigung bis zur Krönung geschmückt
sind.

Die Vergleichung dieser Werke wird uns ein Bild geben von
dem Stande der Lübecker Malerei im ersten Drittel des 15. Jahr-
hunderts. Wenn wir dieselben dem Grabower Altar gegenüberstellen,
so ist ein bedeutender Fortschritt in der Characteristik des Aus-
druckes der einzelnen Figuren bemerkbar, das Weiche, Unbestimmte
in den Gesichtsumrissen ist mannigfaltigeren Formen gewichen, die
M ännerköpfe sind durch kräftigere Stirn- und Backenknochen, durch
sorgsamer ausgeführte Kopf- und Barthaare lebensvoller geworden,
und auch der Typus der Frau hat sich geändert, die Gesichter sind
nach dem Kinn zu spitzer und daher der Mund nicht so klein er-
scheinend, das gelbblonde Haar fast, durchweg in starker Bauschung
hinter dem Ohre herumgelegt. Die Hintergründe sind vergoldet
oder, wie auf den Aussenseiten der Flügel, roth mit goldenen
Sternen. Die Farbentöne sind im Ganzen heller, besonders der
Fleischton der Frauen; an der Gewandung finden ein leichtes Rosa
und Hellgrün gern Verwendung. Licht und Schatten sind noch
immer im Uebergang weich, doch bereits in grösseren Parthien
bestimmter einander entgegengestellt; auch der Faltenwurf ist im
Vergleich zum Grabower Altar leichter und unbehinderter.

Es sind dies Alles durchaus keine Kennzeichen, welche die
Lübecker Bilder als eine besondere Schule hervorheben, sondern
dieselben Merkmale, die wir auch bei den niederrheinischen und
westfälischen Werken dieser Zeit wiederfinden sowie in einer Reihe

') Vergl. Jimmerthal's Chronik der Marienkirche (Manuscript im Hause
des Organisten von St. Marien.) S. 25, 95, 448 —
Sehnobel, Gründl. Nachr. 1787 S. 175.

2) Museum No. 137 und No. 138.

3) Der Altarschrein wurde 1728 aus der Jacobikirchc in Lübeck, wo ei-
serner Grösse nach den Hochaltar gebildet haben muss, nach Xeustadt i. Mecklen-
burg an die hier abgebrannte Kirche geschenkt, wie aus dem.Neustädter Kirchen-
buch von 1075 nachgewiesen ist. (Lisch i. Jahrb. f. mecklenbg. Gesch. 1873
Bd. XXXVIII. S. 192). Von hier kam er 1841 in das Museum ZW Schwerin
(Lisch a. a. O. Bd. X. S. 318). 1713 war der Altar noch in St. Jacobi aufge-
stellt, denn in der Beschreibung bei Gröll* Gründl. Nachr. d. Stadt Ltib. 1713
S. 110 heisst es: »In dem Chor stehet ostwerts der hohe Altar, welcher An. 1435
verfertiget worden. Jac. V. Melle giebt in seinem Manuscript S. 373 auch die
Inschrift wieder, die jetzt nicht mehr vorhanden: »Anno Domini MCGCCXXXV
sub tempore Gothfridi Steubeken hujus JEccleaiae Operarij consummatum est
hoc opUS.< Im Jahre 1717 wurde er durch einen neuen Hochaltar verdrängt.
[ßclmobel a, a. O. S. 196.) Schon aus diesen Angaben, ganz abgesehen von
stilistischen Gründen, geht hervor, dass der Altar nicht wie Lisch (a. a. O.) an-
nimmt, spätesten 1300—08 entstanden ist, sondern ungefähr 70 Jahre später.

4) Siehe Näheres über denselben im nächsten Abschnitte.
 
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