Ueber die Psalterillustration des Mittelalters.
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Zeit ein grosser. Man übernahm von den Geweben die sich gegen-
überstehenden natürlichen und phantastischen Thiere mit einem Baum
in der Mitte1), die Adler und Löwen, von Emailschalen und Elfen-
beinkästen die Jagden, Bogenschützen, Kämpfe wilder Thiere und -
Fabelwesen jeglicher Gestalt. Bei der Uebertragung dieser Motive
auf den Schmuck der christlichen Kirche suchte man unwillkürlich
auch hier nach einem tieferen Sinn, und da begegneten sich die Dar-
stellungen mit denen in den Psalterien. In der bilderreichen orien-
talischen Sprache des Psalters fanden sich die Parallelen zu den
Schöpfungen des Orients, man konnte Worte der Psalmen auf die
orientalischen Motive anwenden, der Schein des Heidnischen war
ihnen dadurch genommen und ihrer Verbreitung in endloser Wieder-
holung, Abwandlung und Zusammensetzung kein Hinderniss gesetzt.
Das Spiel der Phantasie durchbrach leicht eine strenge Sym-
bolik; aus reiner Freude an der Form copierte man einzelne Gestalten
und combinierte neue Wunderdinge. Hinter jeder figürlichen, nicht
rein historischen Kirchensculptur des 12. Jahrhunderts einen Psalmen-
vers oder eine Bibelstelle zu suchen, wäre grundverkehrt, unrichtig -
aber auch, zu glauben, dass all diese phantastischen Kämpfe, dieses
Bankenwerk mit Thieren und Menschen den Geistlichen jener Zeit
ein blosses nichtssagendes Ornament waren.
Zur Erklärung der symbolischen Kirchensculptur des
11. und 12. Jahrhunderts müssen demnach die Psalterillustra-
tionen von wesentlicher Bedeutung sein. Um dies zu erörtern,
bildet der Hildesheimer Psalter ein geeignetes Object, weil er
aus derselben Zeit stammt wie die meisten solcher Sculpturen, dem
12. Jahrhundert, weil die Darstellungen verhältnissmässig einfach und
klar für sich abgeschlossen sind, und weil endlich die illustrierten
Psalmverse stets danebengeschrieben stehen.
') Vgl. Anton Springer, Ikonographische Studien in den Mitth. der Oesterr.
Central Comxn. 1860. Bd. V, S. 67.
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Zeit ein grosser. Man übernahm von den Geweben die sich gegen-
überstehenden natürlichen und phantastischen Thiere mit einem Baum
in der Mitte1), die Adler und Löwen, von Emailschalen und Elfen-
beinkästen die Jagden, Bogenschützen, Kämpfe wilder Thiere und -
Fabelwesen jeglicher Gestalt. Bei der Uebertragung dieser Motive
auf den Schmuck der christlichen Kirche suchte man unwillkürlich
auch hier nach einem tieferen Sinn, und da begegneten sich die Dar-
stellungen mit denen in den Psalterien. In der bilderreichen orien-
talischen Sprache des Psalters fanden sich die Parallelen zu den
Schöpfungen des Orients, man konnte Worte der Psalmen auf die
orientalischen Motive anwenden, der Schein des Heidnischen war
ihnen dadurch genommen und ihrer Verbreitung in endloser Wieder-
holung, Abwandlung und Zusammensetzung kein Hinderniss gesetzt.
Das Spiel der Phantasie durchbrach leicht eine strenge Sym-
bolik; aus reiner Freude an der Form copierte man einzelne Gestalten
und combinierte neue Wunderdinge. Hinter jeder figürlichen, nicht
rein historischen Kirchensculptur des 12. Jahrhunderts einen Psalmen-
vers oder eine Bibelstelle zu suchen, wäre grundverkehrt, unrichtig -
aber auch, zu glauben, dass all diese phantastischen Kämpfe, dieses
Bankenwerk mit Thieren und Menschen den Geistlichen jener Zeit
ein blosses nichtssagendes Ornament waren.
Zur Erklärung der symbolischen Kirchensculptur des
11. und 12. Jahrhunderts müssen demnach die Psalterillustra-
tionen von wesentlicher Bedeutung sein. Um dies zu erörtern,
bildet der Hildesheimer Psalter ein geeignetes Object, weil er
aus derselben Zeit stammt wie die meisten solcher Sculpturen, dem
12. Jahrhundert, weil die Darstellungen verhältnissmässig einfach und
klar für sich abgeschlossen sind, und weil endlich die illustrierten
Psalmverse stets danebengeschrieben stehen.
') Vgl. Anton Springer, Ikonographische Studien in den Mitth. der Oesterr.
Central Comxn. 1860. Bd. V, S. 67.