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Goldschmidt, Adolph; Weitzmann, Kurt; Goldschmidt, Adolph [Hrsg.]; Weitzmann, Kurt [Hrsg.]
Die byzantinischen Elfenbeinskulpturen des X. - XIII. Jahrhunderts (Band 1): Kästen — Berlin: Bruno Cassirer, 1930

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https://doi.org/10.11588/diglit.53146#0018
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A LS die Wissenschaft nach dem Erscheinen des ersten großen
/ % Elfenheinkatalogs von Westwood 187 6 sich eifriger mit diesen
-L JL Gegenständen der Kleinkunst zu beschäftigen begann, blie-
ben die im folgenden zu behandelnden byzantinischen Elfenbein-
kästen auf längere Zeit hinaus noch ziemlich unbeachtet. Die Kästen
standen zu einem großen Teil außerhalb und abseits der mittelalter-
lichen Ikonographie, und es fand sich vorerst keine Möglichkeit, sie
in die allgemeine Entwicklung der mittelalterlichen Kunst einzube-
ziehen. Die ersten, die sich im Zusammenhang für diese Kästen,
u. zw. ihren antiken Stoffkreis interessierten, waren klassische Ar-
chäologen, die aus diesen späten Stücken antiken Formengeistes
Anhaltspunkte für Deutungen antiker Bildwerke zu schöpfen sich
bemühten. Robert Schneider stellte in einem Aufsatze (Serta Har-
teliana 1896) zum erstenmal ein Verzeichnis auf von Kästen mit
Rosettenornamentik und dazu gehörigen Einzelplatten, das
4o Nummern umfaßt. Einer näheren Behandlung wurden jedoch
nur die antiken Stoffe gewürdigt. Eine eingehende Behandlung
haben die Kästen erst durch Hans Graeven erfahren, der in vier Auf-
sätzen zu den antiken weitere Stoffgebiete in seine Behandlung
einbezog. Im ersten und zweiten Aufsatz (Preuß. Jahrb. 1897 und
Österr. Jahrb. 1899) knüpft er an Schneider an, schafft weitere
Klärung in der Deutung der antiken Bildstoffe, und erweitert im
zweiten das Verzeichnis auf 47 Nummern. Im dritten Aufsatz
(l’Arte 1899) werden die Adam-und-Eva-Darstellungen, und im
vierten (Österr. Jahrb. 1900) die Typen der Wiener Genesis be-
handelt. Der Abschnitt über die Rosettenkästen in den Handbü-
chern der byzantinischen Kunst geht über den Grae venschen Stand-
punkt nicht hinaus. Zusammenhängendes, außer gelegentlicher Be-
arbeitung von Einzelstücken in Museums- und Sammlungskatalogen,
ist seit Graeven nur noch von Venturi geschrieben worden in seiner
Storia dell’arte (Bd. I, S. 512 ff.). Er setzt die besten der Kästen mit
profanen Darstellungen in das Ende des 4. oder den Anfang des
5. Jahrhunderts mit der Begründung, daß im späteren Mittelalter
solche antiken Elemente nicht mehr möglich seien. Er trennt daher
die besseren der antikisierenden Rosettenkästen von den geringeren
und den gesamten übrigen byzantinischen Elfenbeinplatten, indem
er jene in die vor-, diese in die nachikonoklastische Periode setzt.
Demgegenüber werden die folgenden Untersuchungen ergeben, daß
einmal der Motivenschatz der profanen Kästen nicht in dem Maße
rein antik ist wie Venturi und teilweise auch Graeven, angenommen
haben, und ferner, daß die stilistischen Verknüpfungen unter den
einzelnen Kastengruppen zu eng sind, als daß man in die kontinu-
ierliche Reihe irgendwo einen Schnitt machen und einen Teil als

früh-, einen anderen als mittelbyzantinisch bezeichnen könnte. Die
folgenden Untersuchungen führen wieder zu dem Standpunkt
Graevens zurück, nach welchem die ganze Gruppe der Rosetten-
kästen der mittelbyzantinischen Epoche zuzuschreiben ist. Wir
müssen die Frage aufwerfen, ob es nach den Graevenschen Aufsätzen
überhaupt eine Berechtigung hat, das Thema noch einmal im Zu-
sammenhang zu behandeln, zumal die wichtigsten Fragen, die sich
an dieses Material knüpfen, durch ihn schon eine weitgehende
Lösung gefunden haben: nämlich die Deutung der Szenen, die
zeitliche Ansetzung in die mittelbyzantinische Zeit, und die Loka-
lisierung der meisten Stücke nach Byzanz. Seit dem letzten Ver-
zeichnis von Graeven hat sich das Material aber mehr als verdop-
pelt, wodurch allein schon eine erneute Behandlung des ganzen
Stoffgebietes gerechtfertigt erscheint. Denn durch diese Fülle des
neuen Materials lassen sich Typen oft durch eine ganze Reihe von
Kästen verfolgen und so für manche bislang ungedeuteten Figuren
Deutungen finden. Zur Datierungsfrage konnte manches für die
Entwicklung innerhalb der mittelbyzantinischen Periode, auf die
Graeven noch gar nicht eingegangen war, beigetragen werden auf
Grund von Vergleichung mit anderen datierbaren Elfenbeinen und
datierten Handschriften. Schließlich war bei manchen Stücken ein
begründeteres Urteil über die byzantinische Entstehung dadurch
möglich, daß sie sich in eine bestimmte Entwicklungsreihe ein-
ordnen ließen. Zudem war die Gruppe mit den Tierdarstellungen
noch gar nicht behandelt worden.
Der vor allem maßgebende Gesichtspunkt, unter dem die sehr ver-
schiedenartigen Kästen gesammelt sind und sich als mittelbyzan-
tinisch erkennen lassen, ist ihre eigentümliche Rosettenornamen-
tik, die von vornherein infolge ihrer geringen Veränderung für
die große Mehrzahl der Stücke auf eine gewisse örtliche und zeit-
liche Beschränkung schließen läßt. Nur wenige Stücke besitzen
diese Ornamentik nicht, doch stehen diese dann aus anderen Grün-
den mit den Rosettenkästen in einem näheren Zusammenhang,
welcher ihre Behandlung an dieser Stelle rechtfertigt.
Die obenerwähnte Erweiterung des sehr verstreuten Materials ist
vor allem der Sammeltätigkeit Adolph Goldschmidts zu danken, der
nach Graevens zu frühem Tode begonnen hat, das Material, so wie es
in diesem Bande vorliegt, zusammenzutragen. Es sei an dieser Stelle
meinem hochverehrten Lehrer, Herrn Geheimrat Goldschmidt,
der wärmste Dank ausgesprochen für die Heranziehung zur Be-
arbeitung sowie für die stete Förderung der Arbeit durch seine
auf Autopsie beruhenden Notizen und durch ständige mündliche
Beratung.
 
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