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Goldschmidt, Adolph; Weitzmann, Kurt; Goldschmidt, Adolph [Hrsg.]; Weitzmann, Kurt [Hrsg.]
Die byzantinischen Elfenbeinskulpturen des X. - XIII. Jahrhunderts (Band 1): Kästen — Berlin: Bruno Cassirer, 1930

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https://doi.org/10.11588/diglit.53146#0019
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I. T E 1 1

ZUSAMMENFASSUNG

i. Die technische Behandlung und Verwendung
der Kästen
EINE etwas eingehende Behandlung der Kästen hinsichtlich
einiger technischer Besonderheiten ist deswegen notwendig,
weil sich ans ihr zuweilen gewisse Anhaltspunkte gewinnen lassen,
die für die Bestimmung des Byzantinischen oder Nichtbyzantini-
schen, für die Frage einer späteren Umgestaltung oder einer Fäl-
schung von großer Wichtigkeit sind. Mit Ausnahme einiger Kästen,
die aus ganzseitigen El fenbeinplatten zusammengefügt sind, bestehen
alle übrigen aus einem Holzkern, auf den mit Elfenbeinstiften die
Platten, Friese und Ornamentstreifen befestigt sind. Zwischen die
figürlichen Platten und Ornamentstreifen treten oft halbrunde Füll-
stäbe, zu deren Befestigung in den Holzkern tiefe Billen einge-
schnitten werden. Diese Füllstäbe finden sich fast durchgehend bei
den Kästen mit profanen Darstellungen. Nur in wenigen späteren
Fällen (Beispiele von Nr. 58—64) werden die Platten in einen ver-
tieften Holzkern eingelassen, so daß die Ornamentstreifen über die
Platten greifen und sie dadurch halten. Die Aufteilung einer Kasten-
seite geschieht in der Art, daß man in die Mitte einen Fries oder
mehrere durch Ornamentstreifen getrennte Rechteckplatten setzt
und diesen Mittelteil auf allen vier Seiten mit Ornamentstreifen
einrahmt. Dabei fällt auf, daß Friese mit Vorliebe für den Deckel
verwandt werden, während man die Seiten mehr in Einzelfelder
aufteilt.
Die Kastenform beschränkt sich im wesentlichen auf zwei Grund-
typen: einen flachen Kasten mit Schiebedeckel, der gewöhnlich —
von der Standfläche des Deckelreliefs aus gesehen — nach der linken
Kurzseite herauszuziehen ist, und einen Kasten mit Pyramiden-
slumpfdeckel, der nach hinten aufzuklappen und an der Rückseite
mit zwei Scharnieren befestigt ist. Eine dritte Form kommt vor,
aber scheinbar schon in alter Zeit sehr selten, nämlich ein poly-
gonaler Kasten mit Pyramidenstumpfdeckel. Aus dem Bereiche des
rein Byzantinischen sind von diesem Typus nur Reste eines ein-
zigen Stückes erhalten (Nr. 13—19). Ein vollständig erhaltenes
Exemplar dieser Gattung, wenn auch nicht ganz im ursprünglichen
Zustande, ist ein dem byzantischen Stil sehr nahestehender Kasten
in Sens (Nr. 124).
Andere Kästen von abweichender Form (Nr. 9, 52, 107) haben
diese erst bei einer späteren Neumontierung erhalten. Für die
Frage des Zeitverhältnisses lassen sich aus der Kastenform keine
Schlüsse ziehen. Die beiden erwähnten Hauptformen kommen in
früher wie später Zeit nebeneinander vor und bleiben in ihrer
äußeren Form konstant. Die Kästen sind alle mit einem Schloß ver-
sehen gewesen, und zwar die Kästen mit Schiebedeckel auf der dem
Deckelauszug gegenüberliegenden Kurzseite, und die Kästen mit
Pyramidenstumpfdeckel auf der Mitte der Vorderseite. Es handelt
sich um Schnappschlösser, in die auf dem Deckel befestigte Schloß-
haken eingriffen. Von den erhaltenen Schlössern läßt sich aber
keins mit voller Sicherheit als das ursprüngliche nachweisen. Nur
vermutungsweise kann das Schloß des Kastens Nr. 21 als das ur-
sprüngliche angesprochen werden. In vielen Fällen sind die Schlös-
ser verlorengegangen und haben nur noch Befestigungsspuren
hinterlassen. Wo diese Befestigungsstellen heute nicht mehr zu
sehen sind, handelt es sich um Neumontierungen (Nr. 5i, 53). In
anderen Fällen ist dieselbe Stelle später mit einer glatten Elfenbein-
oder Metallplatte oder einem Ornamentstück ausgefüllt worden
(Nr. 29, 32, 43, 68). Der Deckel hatte gewöhnlich in der Mitte bei
beiden Arten von Kästen einen Griff oder Henkel. Aber auch von
den erhaltenen ist keiner mit Sicherheit als ursprünglich anzuspre-

chen, obwohl auch hier ausgesparte Felder (Nr. 12) darauf hin-
weisen, daß von Anfang an ein solcher geplant war.
Um ein vollständiges Bild von dem ursprünglichen Aussehen der
Kästen zu bekommen, müssen wir uns eine Bemalung hinzudenken,
von der auf einigen Kästen noch Spuren erhalten sind. Vorwiegend
ist Gold dazu verwendet worden, das man auf die Rosetten, die
Gewänder und Rüstungen der Fi-
guren und auf diejenige Stelle des
Hintergrundes auftrug, von der sich
die rotgefüllten Inschriftzeichen ab-
heben sollten. Diese rechteckigen
goldenen Hintergrundsstreifen sind
besonders gut erhalten auf dem
Kasten Nr. 69. Ob noch andere Far-
ben verwendet worden sind, läßt
sich nicht mehr sicher nachweisen;
so viel ist aber sicher, daß nur be-
stimmte Teile bemalt waren, und
der Ton des Elfenbeines auch zur
Geltung kam.
Die äußere Gestalt der Kästen und
die Art der Plattenverteilung auf
die Kasten wände findet sich ähn-
lich bereits auf koptischen Kästen
des 3. bis 4- Jahrhunderts, von denen
Fragmente in rechteckiger und trapezförmiger Gestalt erhalten
sind, aus denen sich Pyramidenstumpfkästen ähnlich den by-
zantinischen (vgl. Nr. 33) rekonstruieren lassen (Strzygowski,
Koptische Kunst 1904, Taf. 14) (Abb. 1). Ein Unterschied be-
steht aber darin, daß der Schmuck der koptischen in geritzter
Zeichnung und Malerei, der der byzantinischen in Relief aus-
geführt ist. Auch die Bildstoffe, — Putten, tanzende Mänaden und
ähnliche antike Darstellungen — sind dieselben und gehen auf
eine gemeinsame antike Wurzel zurück. Die Form der Schiebe-
deckelkästen findet sich ebenfalls im Koptischen. Allerdings kom-
men sie dort nur als einfache kleine Holzkästen vor mit innerer
Felderteilung (Farbkästen).
Der reiche Schatz antiker Typen, der sich über die Kastenwände
ausbreitet und in dem ganz offensichtlich nackte Figuren bevor-
zugt werden, läßt auf eine profane Verwendung der Kästen schlie-
ßen. Die Kästen haben zur Aufbewahrung von Schmuckgegen-
ständen und Geld gedient, und es handelt sich wohl um jene schon
in der Antike gebräuchlichen Hochzeitskästen, in denen der Braut
Schmuck überreicht wurde. Zwei Darstellungen der in mittel-
alterliche Formen unigesetzten Allegorie des Pintos mit einem
Geldsack in den Händen (Nr. 68 und 69) bestärken die Annahme
eines profanen Zweckes. Erst später, als solche Kästen durch die
Kreuzzüge und durch die Eroberung Konstantinopels ins Abend-
land gelangten, wurden sie hier zuweilen als Reliquienbehälter
benutzt.
Als Material für die Kästen wurde Elfenbein wie Knochen benutzt.
Gnirs (Wiener Jahreshefte 1915, S. 138) glaubte für eine Reihe von
Kästen eine Lokalisierung an die adriatische Küste vornehmen
zu können, weil sie aus minderwertigem heimischen Material,
nämlich Rinder- und Pferdeknochen, gearbeitet seien. Diese Kno-
chenarten können aber ebensogut in Byzanz verwandt worden
sein. Ein Überblick über die gesamten in diesem Bande behan-
delten Elfenbeine lehrt uns bald, daß in den meisten Kasten-
gruppen Elfenbein wie Knochen nebeneinander verarbeitet wurde.
Zuweilen weist sogar ein und derselbe Kasten beiderlei Material auf
(Beispiele Nr. 32, 67). Es ist also in ein und derselben Werkstatt
 
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