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vor sieh zu haben — allerdings im Kleide einer Ulmer Patri-
zierin. So trägt eine Aphrodite ihr Haar geordnet. Nur die
prächtige Haube darüber und die ein Buch haltenden etwas zu
groß geratenen Hände verwischen die Erinnerung an hellenische
Bildwerke.
Die links des Eingangs postierte Cimeria reißt uns mit Ge-
walt wieder zurück ins kirchliche Mittelalter. Die ältliche Bet-
schwester mit dem Leidenszug um die niedergeschlagenen Augen
macht einen etwas scheinheiligen Eindruck. Ihr Mund öffnet sich
wie zu einem Seufzer und es klingt nicht wie eine frohe Botschaft,
wenn sie im Hinblick auf das offene Buch in ihren Händen
verkündet: «Ein neues Geschlecht kommt vom hohen Himmel
herab.» Ein mehrfach um die Stirn geschlungenes Tuch drückt
auf das sich seitlich neigende Haupt. — Diese insichgekehrte
Figur ist nur innerhalb der Bilderreihe, gleichsam als bindendes
Glied einer Kette, möglich.
Am Ende steht die phrygische Sibylle, deren freie Haltung
die Fesseln sprengt. Schon durch ihre Wendung halblinks
stellt sie die Verbindung mit der Gegenseite her. Sie selbst
hat etwas Männliches im Auftreten. Mit der wie von schwerer
Denkarbeit gekräuselten Stirn, mit den scharfen aber offenen
Zügen stimmen ihre erklärenden Handbewegungen gut zusammen.
Auch sie deutet auf ein Buch, als wollte sie ihren Worten
Nachdruck verleihen.
Dies dozierende Element herrscht naturgemäß auch bei
den «Weisen des Altertums» vor. Nur Pythagoras scheint auf
die Musik zu hören, die er einer Mandoline entlockt. Ein
ähnlicher Kopftypus, wie er ihm eigen, kehrt mehrere Male
wieder, so bei Cicero und Terentius, die sich in umgekehrter
Folge wie die betrachteten Sibyllen — also von Osten nach
Westen — anreihen. Mit scharfer Kante hebt sich das Stirn-
bein gegen die tiefen Augenhöhlen ab. Kräftig springt die
lange schmale Nase vor, an Wurzel und Ende von strengen
Falten umgeben. Unter den mageren abgeschrägten Wangen
wird das Jochbein sichtbar. Die Unterlippe, an der ein sträh-
niger Backenbart ansetzt, überragt die ausrasierte Oberlippe.
Locken umwallen das durchgeistigte Gesicht. Dagegen sticht
die Ruhe der Gewandung ab. Nur die Hände nehmen an der
vor sieh zu haben — allerdings im Kleide einer Ulmer Patri-
zierin. So trägt eine Aphrodite ihr Haar geordnet. Nur die
prächtige Haube darüber und die ein Buch haltenden etwas zu
groß geratenen Hände verwischen die Erinnerung an hellenische
Bildwerke.
Die links des Eingangs postierte Cimeria reißt uns mit Ge-
walt wieder zurück ins kirchliche Mittelalter. Die ältliche Bet-
schwester mit dem Leidenszug um die niedergeschlagenen Augen
macht einen etwas scheinheiligen Eindruck. Ihr Mund öffnet sich
wie zu einem Seufzer und es klingt nicht wie eine frohe Botschaft,
wenn sie im Hinblick auf das offene Buch in ihren Händen
verkündet: «Ein neues Geschlecht kommt vom hohen Himmel
herab.» Ein mehrfach um die Stirn geschlungenes Tuch drückt
auf das sich seitlich neigende Haupt. — Diese insichgekehrte
Figur ist nur innerhalb der Bilderreihe, gleichsam als bindendes
Glied einer Kette, möglich.
Am Ende steht die phrygische Sibylle, deren freie Haltung
die Fesseln sprengt. Schon durch ihre Wendung halblinks
stellt sie die Verbindung mit der Gegenseite her. Sie selbst
hat etwas Männliches im Auftreten. Mit der wie von schwerer
Denkarbeit gekräuselten Stirn, mit den scharfen aber offenen
Zügen stimmen ihre erklärenden Handbewegungen gut zusammen.
Auch sie deutet auf ein Buch, als wollte sie ihren Worten
Nachdruck verleihen.
Dies dozierende Element herrscht naturgemäß auch bei
den «Weisen des Altertums» vor. Nur Pythagoras scheint auf
die Musik zu hören, die er einer Mandoline entlockt. Ein
ähnlicher Kopftypus, wie er ihm eigen, kehrt mehrere Male
wieder, so bei Cicero und Terentius, die sich in umgekehrter
Folge wie die betrachteten Sibyllen — also von Osten nach
Westen — anreihen. Mit scharfer Kante hebt sich das Stirn-
bein gegen die tiefen Augenhöhlen ab. Kräftig springt die
lange schmale Nase vor, an Wurzel und Ende von strengen
Falten umgeben. Unter den mageren abgeschrägten Wangen
wird das Jochbein sichtbar. Die Unterlippe, an der ein sträh-
niger Backenbart ansetzt, überragt die ausrasierte Oberlippe.
Locken umwallen das durchgeistigte Gesicht. Dagegen sticht
die Ruhe der Gewandung ab. Nur die Hände nehmen an der